Kramergeschichten
Die ersten beiden Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts waren für Sachsen und seine Einwohner wirtschaftlich erfolgreiche Jahre. Das Land hatte von einer langanhaltenden Friedenszeit profitiert. In Leipzig florierte der Handel. Die Leipziger Kramer ließen ihre neuen Innungsartikel zunächst vom Leipziger Rat bestätigen und nach 1604 sogar vom Kurfürsten – ein Bedeutungszuwachs für die Innung, der sich nach und nach bemerkbar machen sollte. Wie es sich für Kramer gehörte, wurde über die Finanzen der Innung exakt Rechnung geführt. Dazu existierten für einzelne Posten des Haushalts gesonderte Rechnungsbücher. Ihre Bezeichnungen, aber auch ihre Inhalte, veränderten sich über die Jahre. Überliefert sind u. a. Kontenbücher, Bilanzbücher, Hauptbücher der Konten, Schuldbücher, Warenschuldbücher und Spendenbücher sowie Verzeichnisse über Einnahmen der Weibergelder und Quartalgelder.
Am Ende des Rechnungsjahres wurden schließlich alle Einnahmen und Ausgaben in einem Kassenbuch zusammengeführt. Die Jahresrechnung endete jeweils mit einer ausgeglichenen Bilanz. Etwaige Überschüsse wurden ins nächste Jahr übertragen und so zunächst als Ausgabe gerechnet und im folgenden Jahr als Einnahme. Die Innung kaufte vom überschüssigen Geld oft Getreide an. Dieser Vorrat wurde dann in Geld umgerechnet und jeweils als Einnahme verzeichnet, um dann gleich wieder als Ausgabe verbucht zu werden. Dadurch flossen auch Sachwerte in die jährliche Bilanz ein.
Die Jahresrechnungen begannen jeweils mit einer kurzen Einleitung, die Auskunft über den Rechnungszeitraum gibt und die regierenden Kramermeister nennt, die auch für die Finanzen der Innung Verantwortung trugen: „Hernachvolget was yetzo ermelte verordnete und von einem ernvesten hochweisen rath confermierte und bestedtigte kromermaister als mit namen Hanns Lachmann, Simmon Ritz und Petter Wicksperger von den vorhero gheenden und gewesenenn kromermaistern als Valten Schilling, Asmus Behm und Hans Schilartn wegen der kromer inigung laut der alten büecher und iren übergebene rech[nung] den letzten december anno 1604 ann bahrem gelde, korn und austheende schulden empfangen, wellches wir vor ermelte kromermaister zu anfang dieser newen innigungs und kromer büecher auff primo jenner anno 1605 auff newe rechnung setz.“
Die verzeichneten Einnahmen geben gut darüber Auskunft, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Innung und ihrer Mitglieder waren. Beispielsweise zeigte das Rechnungsjahr 1605/06 eine wirtschaftlich starke Innung. Die regierenden Meister hatten von ihren Vorgängern ein Barvermögen in unterschiedlichen Münzsorten im Gesamtwert von über 279 Gulden übergeben bekommen. Hinzukamen 337 Scheffel Korn, die einen Wert von fast 571 Gulden hatten. Die Innung hatte zu diesem Zeitpunkt über 851 Gulden ausgeliehen und nahm davon 175 Gulden und 15 Groschen Zinsen ein. Zu den Schuldnern der Innung zählten oft prominente Bürger der Stadt, wie z. B. Bürgermeister Theodor Möstel (1564-1626 oder 1628), aber auch viele Mitglieder der Innung. Einnahmen erzielte man auch mit in der Vergangenheit zeitweise gestundetem Kramer- und Weibergeld, das nun gezahlt wurde. Im genannten Rechnungsjahr wurden sieben Aufnahmen von Kramern mit ihren Frauen verzeichnet, darunter der spätere Kramermeister Magnus Lotter. Für diese Doppelaufnahmen wurden je 30 Gulden als Einnahme verbucht. Nur 15 Gulden musste Caspar Werner entrichten, -„sein weib aber hat die innigung von iren öltern“. Zwei Kramer, die unbeweibt bzw. Witwer waren, zahlten ebenfalls nur 15 Gulden. Dagegen ist beim Eintritt von Georg Hergesell mit Frau und Kindern zu lesen, dass er von den Pflichten der jungen Kramer befreit sei und deshalb 45 Gulden zu zahlen habe. Kramer, die durch ihre Eltern das Innungsrecht geerbt hatten und bei erlangter Mündigkeit vollwertige Mitglieder der Innung werden wollten, zahlten lediglich eine Schreibgebühr in Höhe von zehn Groschen und sechs Pfennigen. Weitere Einnahmen kamen aus dem so genannten Weichfastengeld, eine zu dieser Zeit einmal im Jahr zu entrichtende Abgabe der Kramer. Bis zu 17 Gulden erbrachten die Standgebühren, die die Innung zu den drei Messen einnahm. Im Rechnungsjahr 1605/06 wurden insgesamt 2725 Gulden, 2 Groschen und 9 Pfennige als Einnahmen verbucht. Zu beachten ist dabei, dass in diesen Betrag der Übertrag aus dem vorhergehenden Jahr, der Wert des eingelagerten Getreides und die Summe des ausgeliehenen Geldes eingeflossen waren, die tatsächlichen Einnahmen in diesem Jahr also bei etwa 900 Gulden lagen. Das war ein beachtlicher Wert, der in den folgenden Jahren nicht wieder erreicht wurde. Erst 1609/10 erzielte man vergleichbar hohe Einnahmen. Das gelang vor allem durch den Verkauf von 426 Scheffel Korn an Bauern in Engelsdorf, Mölkau und Lindenau, wodurch fast 779 Gulden in die Kasse flossen. Allerdings wurde bald darauf der Getreidevorrat wieder aufgestockt. Wahrscheinlich wurde das eingelagerte Getreide regelmäßig ausgetauscht, um das Verderben dieser wichtigen Reserve zu verhindern.
Bei den Ausgaben der Innung ist zwischen regelmäßig wiederkehrenden und außergewöhnlichen Aufwendungen zu unterscheiden. Zu Ersteren zählen etwa jährliche Zahlungen an den Stadtrichter, die 8 Gulden als Besoldung des Kramerknechts und die Auszahlung der Zinsen, der von der Innung verwalteten Stiftungen. Den drei regierenden Kramermeistern wurden für ihre Arbeit ein Salär von je zehn Gulden gereicht. Ebenso jährlich aber in unterschiedlicher Höhe finden sich in der Rechnung Gebühren, die für die Aufnahme neuer Mitglieder in die Innung an den Rat zu zahlen waren – beispielsweise 1610 für 14 neue Mitglieder 90 Gulden. Zu Beginn eines jeden Rechnungsjahres musste der eiserne Innungskasten vom alten Obermeister zum neuen getragen werden; dafür erhielt der Kramerknecht vier Groschen. Zusätzlichen Lohn erhielt der Kramerknecht auch für regelmäßiges Kornwenden, für das Putzen der Harnische bzw. der Musketen oder andere kleinere Dienstleistungen. Auch die innungseigenen Leichentücher wurden regelmäßig gewaschen, wofür einige Groschen bezahlt wurden. Ein widerkehrender Posten sind Ausgaben für die Beköstigung bei den Zusammenkünften der Meister oder der ganzen Innung. In der Rechnung wurde dann beispielsweise notiert drei Gulden elf Groschen für Bier und Wein „in underschidene versamlungen bey dem Simmon Rytzen vertrunkhen“.
In der Zeit zwischen 1604 und 1610 strebte die Kramerinnung die Bestätigung ihrer Ordnung durch den Landesherrn an. In diesem Zusammenhang ist eine Reihe von zusätzlichen Ausgaben verzeichnet. In der Jahresrechnung 1605/06 finden sich dazu folgende Einträge: 14 Groschen „betzalt dem Aßmusen Behm uncosten so er wegen deß artickels brieff den buechbinder geben“, sechs Gulden sieben Groschen „dem alten Paull Papst, stadtsyndico, wegen edlicher artickel in unserm brieff zu convermieren“ übergeben sowie weiter drei Gulden neun Groschen für dessen Schreiber für das Schreiben des Artikelbriefes. Fast neun Gulden erhielt auch Theodor Möstel, der nicht nur Bürgermeister, sondern auch ein Rechtsgelehrter war, „daß er den artickeln brieff verbesert und den 44. artickhel darzu gemacht“. Im folgenden Jahr hat man „am 5 may einen eignen poten mit unserm artickulbrieff nach Dresdenn gesandt“, der 8 Tage in Dresden blieb. Außerdem hatte man dreimal „deß artickelsbrieff halben nach Dresden dem Ambrosius Weisen geschriben, die sachen zu befütern“. 1609, nach Erlangung der landesherrlichen Konfirmation, erhält Magnus Lotter sein Geld von der Innung ausgezahlt, das er die letzten anderthalb Jahre zu diesem Zweck ausgelegt hatte. Das waren u. a. 40 Gulden für „h burgermeyster d. Theodores Mostell einen becher vererth, daß er zuu bestetigung deß articulsbrief vleissig geholffen hat“, und 36 Gulden für Gebühren der kurfürstlichen Kanzlei. Geld floss auch an den „secretary Ambrosy Weisen zu Dresden gebür und verehrung, daß er damit also bemüeth gewessen“. Fünf Gulden erhielt der Kanzleischreiber, der die Artikel auf Pergament geschrieben hatte. Hinzu kamen kleinere Beträge für Siegelwachs, für den Buchbinder und für die Anfertigung einer Box zur Aufbewahrung der neuen Ordnung. Insgesamt wurden Herrn Lotter über 172 Gulden ausgezahlt.
Ein gutes Verhältnis zum Landesherrn war wichtig. Deswegen fuhr eine Delegation der Kramer auch 1607 nach Torgau, wo Johann Georg I. (1585-1656), der zukünftige Kurfürst, und Magdalena Sibylla, eine Prinzessin des Herzogtums Preußen (1586-1659), ihr „Beilager“ vollzogen. Dabei war man aber darauf bedacht, die Aufwendungen gering zu halten – man nahm Verpflegung mit „daß nienands alda einkehren“ musste.
Wenn sich die Kramerinnung mit anderen Innungen im Streit befand, setzten sich die Kramermeister zusammen und diskutierten das Problem. Diese Vorgehensweise ist auch bei anderen äußeren wie inneren Angelegenheiten zu beobachten, deren Klärung die regierenden Meister nicht herbeiführen konnten oder wollten und die deshalb in der Runde aller Meister besprochen wurden. Die dabei anfallenden Kosten für Speis und Trank übernahm die Innungskasse. Im Jahr 1608 ist das etwa bei einem Konflikt mit der Innung der Goldschmiede im Rechnungsbuch dokumentiert.
Für dasselbe Jahr ist ein interessanter Eintrag zum Thema Spendenbereitschaft der Innung überliefert. Für den 10. Oktober ist notiert: „den armen abgebranten leyten von Schmalkalden uff herrn doctor Schumcken fürbit 1 fl“ gegeben. Stadt und Herrschaft Schmalkalden gehörten zur Landgrafschaft Hessen-Kassel, wo der regierende Landgraf Moritz 1605 zum Calvinismus übergetreten war. Nach dem Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens hatte der Landesherr das Recht, einen Bekenntniswechsel auch bei seinen Untertanen durchzusetzen. 1608 eskalierte die Situation zum „Schmalkalder Bildersturm“. Bei diesem Ereignis sind zahlreiche Kunstwerke aus Kirchen vernichtet wurden. In der Folge dieser Entwicklung verließen Lutheraner den Ort und kamen auch nach Leipzig.
Die Kramerinnung erzielte beträchtliche Einnahmen aus Beitrittsgeldern und Abgaben der Kramer sowie aus Standgebühren zu den Messen. Größere Geldbeträge wurden verliehen und erbrachten ansehnliche Zinsen. Obwohl man sich regelmäßig bemühte, das geliehene Geld zurück zu bekommen, waren die Gläubiger oft mit den Rückzahlungen im Verzug. Ebenso füllten Strafzahlungen für Verstöße gegen die Innungsordnung immer wieder die Kasse.
Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts wurde jedes Rechnungsjahr ein Überschuss erzielt, der regelmäßig, wie oben bereits beschrieben, in nicht geringem Maße in Getreide investiert wurde. Ein weitere Teil des Geldes wurde eingesetzt, um die Interessen der Innung zu befördern, wie das Bespiel der angestrebten und erhaltenen Bestätigung der Innungsartikel durch den Kurfürsten zeigt. Aber auch die Zusammenkünfte der Meister und der gesamten Mitgliedschaft, sei es zur Klärung von Problemen oder schlicht zur Geselligkeit, wurden mit Mitteln der Innung finanziert.
Quelle:
Stadtarchiv Leipzig, 0291 Kramerinnung und Handelsdeputierte (Depositum), Nr. 41, fol. 1r-25r.
Geld | |
1 Taler (T) | = 24 Groschen |
1 Florenus (f) [Gulden] | = 21 Groschen |
1 Groschen | = 12 denarii (d) [Pfennig] |
Raummaße | ||
1 Tonne | = 105 Kannen | = 98,24 Liter |
1 Hose | = 24 Kannen | = 22,5 Liter |
1 Fuder | = 12 Kannen | = 11,25 Liter |
1 Kanne | = 0,936 Liter |
Gewichte | ||
1 sächsisches Pfund | = 30 Lot | = 467,29 Gramm |
1 Stein | = 22 Pfund | = 10,27 Kilogramm |
1 Zentner | = 7,5 Stein |
Getreidemaße | |
1 Leipziger Scheffel | = 136,3 Liter |
Getreidegewicht (Röthaer Heimze) | |||
Getreideart | Dichte | Gewicht | Scheffel |
Gerste | 0,60 – 0,70 g/ccm | 81,78-95,41 kg | 88,60 Ø |
Hafer | 0,45 – 0,55 g/ccm | 61,34-74,97 kg | 68,15 Ø |
Roggen (Korn) | 0,68 – 0,75 g/ccm | 92,68-102,23 kg | 97,45 Ø |
Weizen | 0,70 – 0,80 g/ccm | 95,41-109,04 kg | 102,23 Ø |