Unser Plan für Deutschland

Inhalt
  1. Vorwort
  2. Wirtschaftspolitik 2030 – Anforderungen an Transformationsgestaltung
    2.1. Mittelstand und Industrie in Deutschland eine Zukunft geben
    2.2. Leitplanken statt Mikromanagement
    2.3. Weniger Komplexität – Paradigmenwechsel in der Förderpolitik
  3. Energieversorgung 2030 – Anforderungen an ein zukunftsfähiges Energiesystem
    3.1. Stromversorgung – sicher, bezahlbar und klimafreundlich
    3.2. Gasversorgung – Aufbau der Wasserstoffwirtschaft vorantreiben
    3.3. Wärmewende – Kommunen, Unternehmen und Bürger finanziell unterstützen
  4. Staatsreform 2030 – Anforderungen für eine zukunftsfähige Staatsverfassung
    4.1. Wer macht was? – Föderalismus neu denken
    4.2. Regieren in Zeiten tiefgreifender Transformationen
    4.3. Anforderungen an eine agile Verwaltung
  5. Staatsfinanzen 2030 – Anforderungen an eine solide Haushaltspolitik
    5.1. Öffentliche Haushalte – Vorfahrt für Investitionen
    5.2. Steuersystem – wettbewerbsfähig und praxistauglich aufstellen
    5.3. Bund-Länderfinanzbeziehungen wettbewerblicher organisieren
  6. Bildung 2030 – Anforderungen für ein exzellentes Bildungssystem
    6.1. Organisation der Bildungspolitik – Bildungsföderalismus effektiver gestalten
    6.2. Mehr Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit – aber wie?
    6.3. Rahmenbedingungen für eine exzellente Berufsbildung
  7. Sozialstaat 2030 – Anforderungen für zukunftssichere Sozialsysteme
    7.1. Soziale Sicherungssysteme demografiefest weiterentwickeln
    7.2. Gesellschaftlichen Wohlstand durch Arbeit sichern
    7.3. Migration effektiv in den Arbeitsmarkt steuern

Fußnoten


1. Vorwort

Der Wirtschaftsstandort Deutschland sieht sich seit einigen Jahren mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert, die das Sichern und Generieren von breitem gesellschaftlichem Wohlstand immer weiter erschweren. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise begann 2010 ein wirtschaftliches Boom-Jahrzehnt, das schon vor den ökonomischen Schocks Corona und Ukraine-Krieg (Energiekrise) endete. Ab 2018 zeichnete sich ein zunächst langsamer, aber stetiger Rückgang der Wertschöpfungskennzahlen insbesondere im Industriebereich ab. Durch die intensive Verflechtung dieser Branche war dies das erste Anzeichen der heute immer deutlich werdenden Strukturherausforderungen.

Die Jahre 2023 und 2024 waren von einer dauerhaften Konjunkturschwäche mit rezessiven Tendenzen gekennzeichnet. Deutschland schafft es nicht aus der Wachstumsschwäche heraus, vertagt den Aufschwung Quartal für Quartal und wird in Anlehnung an die schwierigen Jahre zu Beginn des Jahrtausends im Ausland wieder als „kranker Mann Europas“ bezeichnet.

Aufgrund dieser Entwicklung ergeben sich nicht zu unterschätzende Gefahren für die zukünftige Wohlstandsgenerierung, die maßgeblich von den hier wirtschaftenden Unternehmen getragen werden. Die Lösung struktureller Probleme des Standorts bedarf mithin einer grundlegenden Neuausrichtung der politischen Parameter, damit Unternehmen erfolgreich wirtschaften können und wir unseren hohen Lebensstandard in einer zunehmend kompetitiven Geopolitik erhalten.

Die IHK zu Leipzig beabsichtigt, mittels des Grundsatzpapiers „Unser Plan für Deutschland – Was bis 2030 angepackt werden muss!“ Impulse aus der Mitte ihrer Unternehmerschaft für die Bundestagswahl 2025 und eine anschließende politische Neuausrichtung zu setzen. Der Anspruch ist es dabei, konstruktive Gestaltungsvorschläge zu unterbreiten und eine inhaltliche Brücke zwischen wichtigen unternehmerischen Belangen und der künftigen Ausrichtung der Bundespolitik zu schlagen. Die Vollversammlung der IHK zu Leipzig hat das Papier am 10. Dezember 2024 beschlossen.

Kristian Kirpal
Präsident

Dr. Fabian Magerl
Hauptgeschäftsführer


2. Wirtschaftspolitik 2030 – Anforderungen an Transformationsgestaltung

2.1. Mittelstand und Industrie in Deutschland eine Zukunft geben

Deutschland war und ist bekannt für seinen leistungsfähigen Mittelstand. Ihn verkörpern ca. 95 Prozent der Unternehmen im Land. Er gilt daher als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, muss – gerade in Zeiten tiefgreifender struktureller Veränderungen – der volle Fokus auf die Wirtschaftspolitik gelegt werden. Politik und Gesellschaft muss immer wieder bewusst gemacht werden, dass die Einnahmen, die der Staat generiert, durch die Unternehmen und ihre Beschäftigten erwirtschaftet werden.

Gute Wirtschaftspolitik ist jedenfalls durch mehr Markt und möglichst wenig Staat gekennzeichnet. Dazu braucht es Vertrauen in die Unternehmen und die Marktmechanismen, und zwar genau auch dann, wenn tiefgreifende Transformationsprozesse zu bewältigen sind. Energie- und Mobilitätswende, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, klimaneutrale Produktionsprozesse gelingen im marktlichen Wettbewerb um Innovationen und die besten Technologien besser.

Zudem sind für mehr unternehmerisches Engagement und Investitionen am Wirtschaftsstandort Deutschland attraktive und stabile Rahmenbedingungen nötig. Mit Blick auf die Jahre bis 2030 und darüber hinaus bedarf es deshalb zunächst Klarheit darüber, wie die deutsche Wirtschaft strategisch aufgestellt und ausgerichtet werden soll. Es ist ein Leitbild gefragt, welches die Politik gemeinsam und im engsten Schulterschluss mit der Wirtschaft herausarbeiten muss.

Unstrittig ist, dass es künftig wieder der Anspruch unseres Landes und unserer Gesellschaft sein muss, Spitzenleistungen zu erzielen, Weltmarktführer zu stellen und auch wieder Exportweltmeister zu sein. Freihandel ist dafür eine Grundvoraussetzung. Dem beobachtbaren Trend hin zu mehr Protektionismus gilt es entgegenzuwirken. Um die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb resilienter zu machen, empfiehlt es sich, diese künftig breiter aufzustellen. Industriepolitik muss deshalb den Rahmen dafür bieten, dass in- und ausländische Unternehmen aus Branchen mit großem Zukunftspotenzial am Standort Deutschland investieren. Hierbei geht es einerseits um die Attraktion von Direktinvestitionen aus dem Ausland (wie es jüngst mit TESLA in Grünheide, TSMC in Dresden oder INTEL in Magdeburg), aber noch viel mehr um die Bestandspflege und Neugründungen vor Ort in Deutschland.

Um für die Zukunft gerüstet zu sein, ist die Wirtschaft auf eine flächendeckend funktionierende Infrastruktur angewiesen, sei es für Datenaustausch und Kommunikation, den Gütertransport oder die Erreichbarkeit für Arbeitnehmerschaft und Kunden. Zur Modernisierung der zunehmend maroden Brücken, Schienen und Straßen in diesem Land sind in den nächsten Jahren massive öffentliche Investitionen umzusetzen. Hinzu kommt der fortlaufende Ausbau der Telekommunikations- (Glasfaser/Highspeed-Internet) und der Aufbau einer Wasserstoff- und CO₂-Infrastruktur (CCS, CCU). Regionalflughäfen, die für eine national und international vernetzte Wirtschaft unabdingbar sind, müssen erhalten bleiben und im Luftverkehr dauerhaft an die wichtigen deutschen Drehkreuze Frankfurt/Main und München angebunden werden. Vor großen Herausforderungen stehen insbesondere urbane Räume durch den Mobilitätswandel und klimawandelbedingte Anpassungen. Mit intelligenten Mobilitätskonzepten müssen unter besonderer Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten und Anforderungen sowie unter Einbeziehung des Wirtschaftsverkehrs individuelle Lösungen gefunden werden. Der Bund muss diese Transformationskonzepte finanziell untersetzen.

Zudem steckt in der Vernetzung der Unternehmen aus den (Hoch-)Technologiebranchen mit den Betrieben der klassischen Bereiche aus Industrie und Handwerk noch sehr viel Potenzial. Die Industrieforschung an Hochschulen und Instituten muss sich stärker für den breiten Mittelstand öffnen. Insgesamt muss sich die Forschung stärker an den Bedarfen der Wirtschaft orientieren und ausrichten.

2.2. Leitplanken statt Mikromanagement

Wirtschaft braucht Leitplanken und stabile Rahmenbedingungen, die es am Standort Deutschland mittel- und langfristig ermöglichen, Wertschöpfung zu generieren und Beschäftigung zu schaffen. Die aktuell schlechte Verfassung des deutschen Mittelstandes, die drastisch gestiegene Zahl der Unternehmensinsolvenzen und die Investitionsschwäche insbesondere in der Industrie verdeutlichen, dass das in den vergangenen Jahren drastisch zugenommene staatliche Mikromanagement, welches durch eine rasant wachsende Zahl kleinteiliger Regularien, Nachweispflichten und Kontrollen gekennzeichnet ist, eine Fehlentwicklung darstellt, die schnellstens korrigiert werden muss. Es sind in diesem Land wieder mehr unternehmerische Freiheiten nötig. Es braucht vor allem Vertrauen in die Wirtschaft.

Soll Deutschland im Konzert der führenden Industrieländer in den Jahren bis und auch nach 2030 ganz vorn mitspielen, müssen sich auch viele weitere maßgebliche Rahmenbedingungen so ändern, dass der Mittelstand und insbesondere die Industrie nicht nur wieder wettbewerbsfähig sind, sondern auch durch Wettbewerbsvorteile glänzen können. Vorgaben der Europäischen Union dürfen hierzulande nicht länger mit zusätzlichen Auflagen umgesetzt werden. Innerhalb der EU ist überdies für gleiche Wettbewerbsbedingungen einzutreten.

Ganz oben auf der Agenda gehört eine umfassende Reform der Unternehmenssteuern. Die letzte größere Reform datiert aus dem Jahr 2007. Deutschland ist ein Hochsteuerland. Körperschafts- und Einkommensteuer müssen daher spürbar gesenkt werden, um als Investitionsstandort wieder attraktiv zu sein. Es reicht jedenfalls nicht aus, die Bedingungen für Abschreibungen zu verbessern und Freibeträge in überschaubarem Umfang anzuheben.

Industrie und Mittelstand benötigen sichere und kostengünstige Energie als Lebenselixier. Deutschland muss bis spätestens 2030 auch hier wieder wettbewerbsfähig werden. Um das Energieangebot zu erhöhen, muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter vorangetrieben werden. Dies allein reicht jedoch nicht aus. Auch die Infrastruktur, bestehend aus Netzen und Speichern, muss Schritt halten, um eine 24/7-Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Klar ist: Dieser Ausbau kostet. Er darf jedoch nicht länger zulasten der Unternehmen gehen. Um die Energiekosten für die Wirtschaft in ihrer gesamten Breite zu senken, müssen nach der EEG-Umlage weitere Umlagen über den Staatshaushalt finanziert werden. Gleiches gilt für die Netzentgelte. Angesichts der bevorstehenden Erhöhungen ist eine Deckelung für die Endkunden erforderlich. Überdies ist die Stromsteuer für die Wirtschaft in Gänze auf das europäische Mindestniveau herabzusetzen. Schließlich muss sichergestellt werden, dass sich der CO₂-Preis im Rahmen des Emissionshandels vollständig frei und ohne staatliche Eingriffe am Markt bildet.

Für die Umstellung von Erdgas auf vollständig grünen Wasserstoff in den Jahren nach 2030 sind ausreichend Erzeugungskapazitäten (EE-Anlagen, Elektrolyseure) und Pipelinenetze erforderlich. Wichtig dabei ist, dass die abnehmende Industrie vollständig angeschlossen wird. Um den Aufbau unternehmenseigener Erzeugungskapazitäten anzureizen, ist es sinnvoll, die betreffenden Unternehmen von Netzentgelten zumindest teilweise zu befreien. Zusätzlich zur Priorisierung des Einsatzes öffentlicher Gelder für den Erhalt und den Ausbau der Infrastruktur muss das Investitionsbeschleunigungsgesetz aus dem Jahr 2020 konsequent umgesetzt und wo nötig angepasst werden.

Deutschland ist grundsätzlich ein rohstoffarmes Land. Insbesondere jene Rohstoffe, die für die Energie- und Mobilitätswende sowie für die Mikroelektronik notwendig sind, sind hierzulande nicht verfügbar. Um in Deutschland die Produktion von Solarmodulen, Batterien, Elektrofahrzeugen, Windkraftanlagen usw. wieder hochzufahren und langfristig am Standort zu halten, ist die Verfügbarkeit, insbesondere von strategischen Rohstoffen wie Lithium, Kobalt oder „Seltenen Erden“ essenziell. Entsprechend muss es hierzulande einfacher möglich werden, die wenigen heimischen Rohstoffe nutzbar zu machen (z. B. Lithium-Vorkommen im Erzgebirge). Dies betrifft im Übrigen auch Baurohstoffe wie Sande und Kiese. Zudem muss der Aufbereitung von Rohstoffen und der Kreislaufwirtschaft (z. B. Batterierecycling) künftig mehr Bedeutung geschenkt werden. Dabei ist es erforderlich, gesetzliche bzw. behördliche Auflagen nicht zu eng zu fassen. Weitere Bezugsquelle strategischer Rohstoffe ist das Ausland. Die Bundesregierung ist daher gehalten, langfristige Lieferabkommen mit Ländern zu schließen, die über diese Bodenschätze verfügen.

Teil einer modernen Industrie- und Mittelstandspolitik ist eine zukunftsfähige Innovationspolitik. Es muss ein gutes innovatives Umfeld geschaffen werden, damit neue Ideen und Produkte „Made in Germany“ entstehen können. Dafür braucht es eine grundlegende Technologieoffenheit, die flächendeckende Einführung von Reallaboren, eine attraktive Forschungsförderung sowie einen effektiveren Wissens- und Technologietransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Eine erfolgreiche Industriepolitik erfordert Umwelt- und Klimaschutz mit dem nötigen Augenmaß. Einerseits liefern Umwelt- und Klimaschutztechnologien ein großes Geschäftspotenzial für die einheimische Wirtschaft. Andererseits dürfen strenge Auflagen in diesem Bereich nicht dazu führen, dass industrielle Produktion am Standort Deutschland unattraktiv wird. Der mit dem Net Zero Industry Act (NZIA) angestrebte Ansatz, Belastungen für Unternehmen zu reduzieren und die Rahmenbedingungen für den Aufbau von Produktionsstätten für Netto-Null-Technologien zu verbessern, ist diesbezüglich sinnvoll, um Innovation und Wettbewerbsfähigkeit effizient und effektiv zu ermöglichen. Die Belastungsreduzierung muss jedoch auf die gesamte Wirtschaft angewendet werden.

Deutsche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren bereits beträchtlich in den eigenen Umwelt- und Klimaschutz investiert und werden dieses Engagement in den kommenden Jahren ohnehin noch wesentlich ausbauen, um z. B. den Anforderungen des Sustainable Financing gerecht werden zu können. Bei solchen Berichtspflichten muss – auch im internationalen Kontext – Einheitlichkeit hergestellt werden, damit gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen (level playing field).

Nicht zuletzt auch um mittel- und langfristig die notwendigen Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen, braucht es in unserem Land zukünftig eine größere Industrie- und Technologieakzeptanz in der gesamten Gesellschaft. Die Unternehmen selbst, aber auch Politik, Verwaltung und Medien müssen hierbei zur Aufklärung beitragen. Bereits in der Schule muss frühzeitig klar werden, dass Industrie vielseitig und innovativ ist, ressourcenschonend und umweltbewusst produziert, Arbeitsplätze schafft und motivierte Köpfe sucht. Eine bessere technisch-naturwissenschaftliche Grundbildung sowie ein größerer Praxisbezug im Unterricht könnte durch längere Pflichtpraktika in Unternehmen etabliert werden.

Für Behördenvertreter muss es künftig verpflichtend sein, sich vor Ort von jenen Betrieben ein Bild zu machen, für die sie Genehmigungsverfahren bearbeiten. Entscheidungen nur vom Schreibtisch aus sind nicht mehr zeitgemäß. Insgesamt muss in der Bevölkerung das Bewusstsein für Deutschland als Industriestandort geschärft werden. Dazu gehört auch eine ideologiefreie Bewertung von Zukunftstechnologien, wie z. B. der Gentechnologie oder der Speicherung und Nutzung von Kohlendioxid.

2.3. Weniger Komplexität – Paradigmenwechsel in der Förderpolitik

Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen sind auch zukünftig auf staatliche Unterstützung angewiesen, erst recht, wenn es gelingen soll, die Transformation in eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 erfolgreich zu meistern. Um hier Investitionsimpulse zu setzen, sollten vermehrt steuerpolitische Anreize gesetzt werden. Daher ist zügig eine umfassende Reform der Unternehmenssteuern auf den Weg zu bringen, die sowohl das System der Besteuerung vereinfacht als auch die Steuerbelastung spürbar senkt. Begleitend dazu sind steuerliche Instrumente, wie die steuerliche Forschungsförderung, auszubauen. Diese muss früher im Innovationsprozess greifen und bspw. mit der Vorsteuer verrechnet werden können.

Insgesamt muss die Unternehmensförderung künftig transparenter sein und zielgenauer wirken. Dazu ist zunächst eine kritische Begutachtung der Wirkung bestehender Förderprogramme vorzunehmen. Im Rahmen der notwendigen Konsolidierung der Programme sind dann nur diejenigen fortzuführen, von denen erwiesen ist, dass sie zu den gewünschten betriebs- und volkswirtschaftlichen Effekten geführt haben. Doppelungen sind konsequent zu beseitigen.

Zielgenaue Unternehmensförderung steht dabei nicht im Widerspruch zu den Prämissen Themen- und Technologieoffenheit. Dennoch sollten sich die staatlichen Programme künftig auf Investitionen und Geschäftsmodelle fokussieren, die die betriebliche Entwicklung und Umsetzung von Zukunftstechnologien sowie den Strukturwandel adressieren. Anstatt mit Haushaltsmitteln den Aufbau neuer staatlicher Institutionen (Kompetenzzentren etc.) zu fördern, sind diese für den Anschub innovationsfördernder betrieblicher Investitionen besser angelegt. Technologisch drängendste Projekte sind dabei prioritär zu berücksichtigen.

Auch in den kommenden Jahren muss die Zuschussförderung des Bundes fortgeführt werden. Im investiven Bereich sollte sich diese jedoch auf die beiden zentralen Säulen „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)“ und „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)“ konzentrieren. Hier muss für die Unternehmen Planungssicherheit bestehen. Förderstopps und -lücken aufgrund von unklaren Haushaltsverhältnissen müssen hier künftig unterbleiben.

Zusätzlich muss hinsichtlich der bis zum Jahr 2038 gesetzlich fixierten Förderung des Strukturwandels in den Braunkohlenrevieren das Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) so an-gepasst werden, dass ab der zweiten Förderphase (2026 bis 2031) auch Investitionen von Unternehmen der Privatwirtschaft förderfähig sind. So kann es in den Revieren gelingen, direkte und größere Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte zu generieren als bislang.

Eine größere Bedeutung, insbesondere für die Anschubfinanzierung innovativer unternehmerischer Investitionsvorhaben, werden künftig die staatlichen Kredit-, Bürgschafts- und Beteiligungsprogramme erlangen müssen. Diese müssen attraktiv ausgestaltet sein und z. B. Haftungsfreistellungen und Tilgungszuschüsse vorsehen. Zur Finanzierung für den Wirtschaftsstandort Deutschland strategisch bedeutsamer Projekte sowie von disruptiven Entwicklungen sind Stiftungsmodelle in Erwägung zu ziehen. Der Ausbau des Engagements der Agentur für Sprunginnovationen (SprinD) ist fortzuführen. Um innovative Unternehmensgründungen zu unterstützen, sind zudem die Bedingungen für den Einsatz von privatem Risikokapital zu verbessern.

Auch im nicht-investiven Bereich empfiehlt sich die Konzentration auf Themen, die den Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft zum Gegenstand haben. Beispielsweise sind die Transformationsnetzwerke bzw. Transformationshubs, welche den Strukturwandel in der Automobilindustrie voranbringen sollen, weiter unterstützungswürdig, sofern es im Ergebnis der Netzwerkarbeit gelingt, die Erkenntnisse zeitnah zur Umsetzung in die konkrete unternehmenspraktische Anwendung zu bringen.

Hinsichtlich der Administration der gesamten Förderprogramme besteht großer Handlungsbedarf, damit diese schneller wirksam werden (siehe bspw. InvKG und IPCEI). Dazu müssen die immer komplexer werdenden Antrags-, Prüf- und Genehmigungsprozesse konsequent vereinfacht, digitalisiert und mithin beschleunigt werden. Im Übrigen sind, z. B. bezüglich der Vorgaben zur nachhaltigen Finanzierung (Sustainable Finance), nur relevante, auf das jeweilige Projekt bezogene Nachweise abzufordern. Prüfungen sind auf Stichproben zu beschränken. Auch ist künftig mehrheitlich mit Förderpauschalen sowie durchweg mit Genehmigungsfiktionen zu arbeiten. Aus Transparenzgründen wird außerdem vorgeschlagen, dass künftig nur ein Projektträger die Förderprogramme des Bundes administriert. Um schneller in die Projektumsetzung zu kommen, sind Vorfinanzierungen zu ermöglichen. Schließlich ist die Kommunikation von Förderprogrammen sowie von Unterstützungsmaßnahmen bei der Begleitung gegenüber der Zielgruppe zu verbessern.

3. Energieversorgung 2030 – Anforderungen an ein zukunftsfähiges Energiesystem

Eine sichere und wirtschaftliche Energieversorgung ist essenziell für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit. Vor allem müssen die Energiekosten dringend sinken, um Unternehmen in der Breite zu entlasten. Gleichzeitig muss die Energiebereitstellung klimafreundlich und sozialverträglich gestaltet werden, um Wohlstand, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit langfristig zu bewahren und die infolge des Klimawandels und der damit verbundenen Erderwärmung entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten so weit wie möglich einzugrenzen.

Für die effektive Fortsetzung des eingeschlagenen Pfades zu einem nachhaltigen und wirtschaftlichen Energieversorgungssystem sind zunächst grundlegende, übergreifende Anpassungen notwendig. Hinzu kommen eine Reihe von spezifischen Maßnahmen, welche die Strom- und Gasversorgung sowie die Wärmewende im Speziellen adressieren.

Die Rahmenbedingungen des internationalen Wettbewerbs werden zunehmend durch geopolitische Spannungen und den fortschreitenden Klimawandel geprägt. In diesem Kontext stellen Energiewende und Defossilisierung der Produktion zentrale An- und Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft auch in den kommenden Jahren dar. Diese sollten jedoch vor allem als große Chance begriffen werden. Hinsichtlich von Reallieferketten und Produktionsstandorten sind ebenfalls geopolitische Aspekte zu berücksichtigen, um Engpässe zu vermeiden.

Der notwendige zügige Ausbau einer modernen und leistungsfähigen Energieinfrastruktur kann nicht nur langfristig zu niedrigeren Energiekosten führen, sondern Deutschland wieder als technologischen Vorreiter positionieren. Für die Finanzierung der dafür erforderlichen immensen Investitionsbedarfe sollte der europäische Finanzmarkt verstärkt genutzt werden. Als Finanzierungsinstrument biete sich beispielsweise der European long-term Investment Funds (ELTIF) an.

Die Nutzung von zentralen und dezentralen heimischen Erzeugungspotenzialen und eines diversifizierten Importangebots stärkt zudem die Resilienz des Standortes. Die dafür notwendigen volkswirtschaftlichen Ressourcen müssen konsequent mobilisiert werden, um den Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem zu beschleunigen. Umfangreiche private und staatliche Investitionen in diesem Sektor beleben zudem die Konjunktur und schaffen Arbeitsplätze.

Planungssicherheit durch stabile politische Rahmenbedingungen und Schaffung nachhaltiger Leitmärkte ist notwendig, um Unternehmen die notwendige Sicherheit für langfristige Investitionen in klimafreundliche Technologien zu bieten. Die Energieinfrastruktur von morgen benötigt hierbei einen starken Fokus auf Netze und Netzkorridore, die die zunehmend dezentralen Versorgungsstrukturen miteinander verbinden. Speicheranlagen sowie Spitzenlast- und Reservekraftwerke sind nötig, um die fluktuierende Energiebereitstellung aus Windenergie- und PV-Anlagen zu ergänzen. Ein weiter auszubauendes europäisches Verbundnetz und die damit verbundene größere Sicherheit bezüglich einer jederzeitigen Bereitstellung grüner Energie in Europa kann diese Notwendigkeit perspektivisch wieder verringern.

Des Weiteren ist es wichtig, den Wandel technologieoffen zu gestalten. Statt auf kleinteiliges staatliches Mikromanagement zu setzen, ist der CO₂-Preis als zentrales, marktwirtschaftliches Steuerungsinstrument heranzuziehen. Dieses Instrument schafft Anreize für Innovationen und fördert eine dezentrale und flexible Steuerung der nachhaltigen Modernisierung der Energieversorgung. Entsprechend muss der Emissionshandel im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation konsequent weiterentwickelt werden, sodass keine Wettbewerbsnachteile für exportierende Unternehmen entstehen. Nur in Bereichen mit sehr hohen Vermeidungskosten und einer langen Transformationszeit sind ordnungsrechtliche Vorgaben als Ergänzung angebracht. Neben der europäischen Harmonisierung ist auch die weitere internationale Ausweitung dieses Modells zwingend anzugehen. Der Übergang in den ETS 2 ist zu begleiten sowie nicht planbare hohe Preissprünge zu vermeiden, weshalb frühzeitig über die zu erwartenden Preise im ETS 2 informiert und die Preisentwicklung im deutschen Emissionshandel entsprechend angepasst werden muss. Speziell betroffene Regionen, in denen historisch bedingt die Fernwärme eine zentrale Rolle spielt, sollten Entlastungen erfahren, um auf erneuerbare Energiequellen zur Wärmeerzeugung zu setzen und einen sozialverträglichen Strukturwandel zu ermöglichen.

Zudem muss der Bürokratieabbau forciert werden. Die umfangreichen und multiplen Berichtspflichten in den Bereichen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit belasten Unternehmen erheblich. Diese Anforderungen müssen auf das Notwendigste reduziert, bereichsübergreifend standardisiert und europäisch harmonisiert werden. Ebenfalls muss die Verwaltung umfassend digitalisiert werden. Planungs- und Genehmigungsprozesse, insbesondere im Bereich des Energieanlagenbaus sowie des Energieinfrastrukturausbaus, sind drastisch zu verkürzen.

3.1. Stromversorgung – sicher, bezahlbar und klimafreundlich

In Zeiten des Klimawandels ist die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen und die Attraktivität Deutschlands für internationale Investoren zunehmend von der sicheren und günstigen Verfügbarkeit erneuerbarer Energien abhängig. Angesichts der steigenden Wirtschaftlichkeit der Elektrifizierung von Prozessen wird der Strombedarf nicht nur in der Industrie, im Verkehr (Mobilität), bei der Wasserstofferzeugung und bei der Wärmeversorgung zukünftig deutlich steigen.

Zur kurz- und langfristigen Senkung der Energiekosten muss die Stromsteuer in Deutschland für die gesamte Wirtschaft unverzüglich und dauerhaft auf den EU-Mindestsatz gesenkt werden. Zusätzlich ist eine Dämpfung der künftig absehbar steigenden Netzentgelte und Umlagen vonnöten. Förderungen müssen sich neben wirtschaftlichen Notwendigkeiten an ökologischen und netzdienlichen Aspekten orientieren. Es muss ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Netzentgeltstabilisierung und deren Finanzierung vorgelegt werden.

Wettbewerbsfähige Energiepreise lassen sich perspektivisch nicht mehr durch die traditionellen Energiekonzepte einschließlich dauerhaftem starkem Personal- und Materialeinsatz sichern, sondern erfordern den Einsatz disruptiver Innovationen der letzten Jahrzehnte. Deshalb ist der weitere Ausbau des Angebots an erneuerbarer Energie gefordert. Power Purchase Agreements (PPAs) bieten Unternehmen Planungssicherheit durch langfristige Lieferung des regenerativ erzeugten Stroms. Energy-Sharing-Modelle und Energiegemeinschaften können die dezentrale Nutzung und Akzeptanz von erneuerbaren Energien fördern. Diese Modelle sollten durch steuerliche Anreize und rechtliche Vereinfachungen gestärkt werden. Die EEG-Förderung sowie -Umlage müssen angesichts erfolgreicher Skalierung der Technik im Hinblick auf ihren Fortbestand neu bewertet werden. Dabei ist darauf zu achten, die aktuell sehr gute Ausbaudynamik im Bereich von Wind- und Solarkraft nicht abzuwürgen.

Ein wesentlicher Kostenfaktor besteht im Ausbau und Betrieb des Stromnetzes. Um die finanzielle Belastung der Endverbraucher auf ein wirtschaftliches Maß zu senken, sind eine staatliche Bezuschussung sowie die zeitliche Streckung der Ausbaukosten dieser fundamentalen Infrastruktur zu bedenken. Eine Netzentgeltreform, die langfristig sicherstellt, dass Regionen mit hohem Ausbau erneuerbarer Energien nicht durch erhöhte Netzentgelte benachteiligt werden, ist ein wichtiger Schritt, um volkswirtschaftlich effiziente Aktivitäten anzureizen. Sie bedarf jedoch eines schlüssigen Gesamtkonzeptes bezüglich ihrer Finanzierung.

Eine effizientere Nutzung des Stromnetzes durch dynamische Preisstrukturen für Flexibilität wie Batteriespeicher, Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, Biogasanlagen und Power-to-X-Technologien sowie eine entsprechende Privilegierung in den Netzentgelten ist entscheidend, um die Netzauslastung optimal zu gestalten. Daneben sollten Unternehmen, die sich netzdienlich verhalten, ebenfalls privilegiert werden. Dies trägt zur Stabilisierung von Stromnetzen und -preisen bei und entlastet langfristig die Volkswirtschaft, weil teure Netzkosten reduziert werden. Als weitere Instrumente können die Einführung von Höchstpreisgarantien für Reststrom sowie Smart-Meter für genauere Reststrom-Lastprofile zur perspektivischen Energiekostensenkung betrachtet werden.

3.2. Gasversorgung – Aufbau der Wasserstoffwirtschaft vorantreiben

Erdgas bleibt auch in den 2030er Jahren ein essenzieller Bestandteil des deutschen Ener-giesystems im Hinblick auf Versorgungssicherheit und industrielle Prozesse, sowie als tem-poräre Ergänzung zu erneuerbarer Energieversorgung. Um die Klimaziele zu erreichen und den Einsatz von fossilem Gas zu verringern, sind folgende Schritte zu gehen:

  • Ein wichtiger Hebel ist die Elektrifizierung vieler Prozesse in Industrie, Mobilität und Gebäudewärme. Die Integration von grünem Wasserstoff und seinen Derivaten wie synthetischem e-Kerosin, Methanol, Methan oder Ammoniak ist ein Schlüsselelement für Sektoren, die schwer zu elektrifizieren sind. Die derzeit sehr restriktiven regulatorischen Vorgaben auf europäischer Ebene müssen für einen erfolgreichen Markthochlauf dieser Technologien gelockert werden.
  • Der Ausbau des Wasserstoffkernnetzes muss priorisiert werden – insbesondere in Regionen, die vom Strukturwandel betroffen sind, in denen umfängliche Erzeugungskapazitäten vorgesehen sind und die einen hohen Bedarf für die Verwendung haben. Dieses Netz in Kombination mit den entsprechenden Erzeugungsanlagen schafft die Grundlage für die Dekarbonisierung von Industrien und sichert langfristig Beschäftigung und wirtschaftliche Wertschöpfung. Dennoch ist darauf zu achten, die volkswirtschaftlichen Kosten für den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur möglichst gering zu halten und diese effizient an den Bedarfen ausgerichtet zu planen.
  • Beimischungsquoten im Luftverkehr sind ein effizientes Mittel, um sichere Leitmärkte zu schaffen und Emissionen zu senken. Eine ausreichende Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff muss sichergestellt werden, auch um die Treibstoffe für Luftverkehr (Sustainable Aviation Fuels) und Schifffahrt voranzutreiben. Ebenso benötigen die Chemie- sowie weitere Grundstoffindustrien grünen Wasserstoff für die stoffliche Nutzung, um ihre Produktionsprozesse zu defossilisieren und langfristig klimaneutral zu gestalten.
  • Fortgeschrittene Carbon Capture and Storage (CCS) / Carbon Capture and Utilization (CCU)-Technologien sind in staatlichen Förderprogrammen stärker zu berücksichtigen, um schon kurzfristig die Substitution von grauem Wasserstoff zu ermöglichen und ausreichende Mengen für die Sektorenkopplung bereitzustellen. Ebenso gilt auch eine Beachtung von biogenem Wasserstoff.
  • Auch der Aufbau einer CO₂-Infrastruktur (s. o. CCS, CCU) und die Einbindung der Region Leipzig in ein solches Netzwerk müssen von Beginn an berücksichtigt werden, um nicht vermeidbare Emissionen effizient abzufangen, zu speichern oder weiterzuverarbeiten. Dies ist eine entscheidende Standortbedingung für energieintensive und chemische Industrien. Der Einsatz dieser Technologien darf jedoch nur unter der Voraussetzung einer positiven Klimabilanz und damit unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen.
  • Grundsätzlich sind eine weitere finanzielle Förderung sowie eine zeitliche Streckung der Kosten des Infrastrukturaufbaus für Wasserstoff und CO₂ nötig. Da die Kapazitäten zur Erzeugung von erneuerbarer Energie begrenzt sind, ist der Import von Wasserstoff bzw. dessen Derivaten zentral. Entsprechende staatliche Lieferabkommen, wie jüngst mit Indien, sind von der Bundesregierung zu schließen.
3.3. Wärmewende – Kommunen, Unternehmen und Bürger finanziell unterstützen

Die Wärmewende ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende, da über 50 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland auf die Wärmeversorgung entfallen. Nur rund 19 Prozent dieser Energie wird derzeit durch erneuerbare Energien gedeckt, weshalb massive Anstrengungen notwendig sind, um die Wärmewende voranzutreiben.

Die lokalen Umsetzungen der Wärmewende, deren Basis die verpflichtende Kommunale Wärmeplanung bis 2026 bzw. 2028 darstellt, erfordern massive öffentliche wie private Infrastrukturmaßnahmen mit entsprechenden Kapitaleinsätzen. Die komplexen Planungs- und Koordinierungsaufgaben der Kommunen im Bereich Wärmewende müssen durch die höheren staatlichen Ebenen EU, Bund und Land finanziell unterstützt werden. Der Ausbau von Strom- und Fernwärmenetzen ist integral zu planen.

Unternehmen innerhalb einer wärmebeplanten Kommune stellen zentrale Akteure der Wende dar. Sie haben einerseits große Wärmebedarfe, können andererseits aber insbesondere im industriellen Bereich auch große Abwärmepotenziale zur Verfügung stellen. Sie müssen deshalb im Planungsprozess frühzeitig einbezogen und kontaktiert werden. Ihnen sollte die Möglichkeit zur Unternehmens- und einzelliegenschaftsbezogenen Realisierung grüner Fernwärme verbindlich aufgezeigt werden.

Hinsichtlich der Fernwärme sind andere, insbesondere regulatorische Rahmenbedingungen, erforderlich, welche Erzeuger, Netzbetreiber und Versorger in die Lage versetzen, die notwendigen Investitionen zu tätigen. Transparenz und Preisstabilität sind dabei zu verfolgende Zielgrößen.

Die Wärmewende ist technologieoffen und nach wirtschaftlichen Kriterien zu gestalten. Es gilt, für alle klimafreundlichen Wärmelösungen günstige Bedingungen und Akzeptanz zu schaffen. Im Hinblick auf die wärmespezifische Verwertung von Biomasse sind regulatorische Unklarheiten zu beseitigen. Ferner ist auf die Abfallhierarchie, welche Recycling vor energetischer Nutzung priorisiert, zu achten.

4. Staatsreform 2030 – Anforderungen für eine zukunftsfähige Staatsverfassung¹

Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten. Politik und Verwaltung denken und handeln zu kompliziert – Gesetzesproduktion und Regulierungstiefe haben sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht. Allein in der vergangenen Legislaturperiode hat der Bundestag mehr als 500 Gesetze beschlossen. Die Verwaltung wird von Spartendenken dominiert. Positive Kooperation und Kommunikation zwischen Organisationseinheiten finden nur selten statt, stattdessen wird auf Zuständigkeiten beharrt. Ergebnisse sind oft kleinster gemeinsamer Nenner und es braucht viel zu lange, bis Ideen und Vorhaben umgesetzt werden.

Deutschland braucht einen tiefgreifenden Modernisierungsschub von Staat und Verwaltung. Um den deutschen Staat zukunftssicher zu machen, gilt es, Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Ressortprinzip und Verwaltungsführung so weiterzuentwickeln, dass unbürokratischer, agiler, pragmatischer und schneller gehandelt werden kann. Dazu ist ein tiefgreifender Kulturwandel erforderlich, wobei sich an guten Praxisbeispielen anderer Länder orientiert werden sollte.

Das Zeitfenster für eine Staatsreform bis 2030 ist günstig, denn die Notwendigkeit der Staatsmodernisierung ist, angesichts der ungebremst wachsenden Bürokratie, stärker denn je im gesellschaftlichen Bewusstsein. Zudem scheidet ein Drittel der Beschäftigten bis 2030 aus dem öffentlichen Dienst aus. Diese Gelegenheit sollte für den überfälligen Abbau von Personal genutzt werden. Die betreffenden Stellen sollten in der Kernverwaltung zum großen Teil nicht nachbesetzt werden.

Ein resilienter, zielbewusst steuernder sowie effektiv, effizient und unbürokratisch handelnder Staat ist auch für die Wirtschaft ein wichtiger Standortfaktor. Eine Staatsreform muss daher als neue Konkordanz der Prinzipien Bürokratieabbau, Effizienz, Effektivität und Resilienz verstanden werden. Sie muss dem Leitbild eines leistungsfähigen Staates mit verlässlichen Strukturen und Strategien folgen, der über die notwendigen Mittel verfügt und auch auf unerwartete Ereignisse vorbereitet ist.

Handlungs-, Transformations- und Widerstandsfähigkeit des politischen Systems, bürgernahe Entscheidungen sowie schnelle und unbürokratische Entscheidungsprozesse sind Ziele, die verfolgt werden müssen, damit dem Staat und seinen Institutionen künftig wieder mehr Vertrauen entgegengebracht werden kann.

Staatliches Handeln erfordert angesichts von Megatrends (wie z. B. Globalisierung, Migration, Klimawandel, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Mobilität) klare Kompetenzen und optimierte Prozesse.

Die Kernfragen der Modernisierung von Staat und Verwaltung betreffen die Zukunft des Föderalismus, des Regierens und der Verwaltung.

4.1. Wer macht was? – Föderalismus neu denken

Der föderale Staat befindet sich permanent im Spannungsfeld von Effizienz (Einheit) und Subsidiarität (Vielfalt). Im Rahmen einer Staatsreform muss daher die künftige Rollenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen klar bestimmt werden. Dabei muss geklärt werden, wer was im Normal- und Krisenmodus zu tun und zu lassen hat. Im Rahmen einer Föderalismusreform III

- müssen die Ergebnisse der Föderalismuskommissionen I (Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen) und II (Neuordnung der Finanzbeziehungen) kritisch auf den Prüf-stand gestellt werden. Wo nötig, sind Korrekturen und Anpassungen vorzunehmen.

- müssen sich Bund und Länder im Rahmen eines kooperativen Wettbewerbsföderalismus auf Ziele und Standards verständigen. Der Bund stellt hierfür ausreichend Mittel zur Finanzierung zur Verfügung. Die Länder und Kommunen setzen die Ziele um. Der Bund bzw. eine unabhängige Bundeseinrichtung überprüft die Ergebnisse auf Grundlage von messbaren Faktoren.

- muss die kommunale Selbstverwaltung für pragmatische, flexible und bürgernahe Entscheidungen gestärkt werden. Dazu bedarf es der verfassungsrechtlichen Aufwertung der Kommunen als echte dritte Ebene im Staatsaufbau sowie mehr Spielraum und ausreichende Finanzmittel für die Kommunen bei Vergabe- und Genehmigungsprozessen bzw. für öffentliche Investitionen. Im Gegenzug verpflichten sich die Kommunen zu einem einheitlichen Finanzmanagement und ausgeglichenen Haushalten.

- müssen die Voraussetzungen für schnelle Entscheidungsprozesse geschaffen werden und sich die Bundesregierung bei plötzlich eintretenden „Angelegenheiten von überragender Bedeutung“ für einen begrenzten Zeitraum die alleinige Regelungskompetenz vom Bundestag und Bundesrat einholen können, wobei Bundestag und Bundesrat jederzeit Widerspruchsmöglichkeit besitzen.

4.2. Regieren in Zeiten tiefgreifender Transformationen

Staat und Verwaltung müssen künftig koordinierter und flexibler sowie krisenfester und präventiver handeln. Entsprechend muss die Zusammenarbeit innerhalb der Bundesregierung gestärkt werden. Für den Krisenfall benötigt der deutsche Staat auf Bundesebene effiziente und einheitliche Strukturen und Informationssysteme für den Gesundheits- und Bevölkerungsschutz. Dazu gehört auch eine Grundgesetzänderung, die eine ergänzende Regelungskompetenz des Bundes für jene Fälle vorsieht, in denen eine länderübergreifende Katastrophe vorliegt, die Zuständigkeit einer Landesbehörde nicht erkennbar ist oder die Bundesländer um eine Übernahme oder um Unterstützung und Steuerung ersuchen. Auch die Bevölkerungsschutzstrukturen im Bund müssen klarer und effektiver ausgestaltet werden. Ziel bis 2030 muss sein, Deutschland krisenfester und zu einem der wichtigsten Standorte bei „GovTech“, also Technologien, die zur Digitalisierung von Dienstleistungen und Prozessen im öffentlichen Sektor beitragen, zu machen.

Zu empfehlen sind hierfür:

  • eine nationale Resilienzstrategie für den Bevölkerungsschutz
  • die Einrichtung ein zentraler Krisenstab von Bund, Ländern und Kommunen
  • das Vorhalten effizienter und einheitlicher Strukturen und Informationssysteme für den Krisenfall (Pandemie, Krieg)
  • präventives und flexibles Regierungshandeln durch Kooperation, agile Strukturen und Projektarbeit
  • die Einrichtung eines unabhängigen Sachverständigenrats für Staats- und Verwaltungsmodernisierung sowie Transformationsbegleitung

 

4.3. Anforderungen an eine agile Verwaltung

Soll die in Deutschland immer weiter ausufernde Bürokratie effektiv zurückgedrängt werden, muss zuvorderst bei den Personalstrukturen angesetzt werden. Hierzu bedarf es der Stellenreduzierung in der öffentlichen Kernverwaltung aller staatlichen Ebenen bis zum Jahr 2030 um mindestens 15 Prozent. Dies ist z. B. zu erreichen, indem die vielen, aufgrund von Renteneintritten, frei werdenden Stellen größtenteils nicht wieder neu besetzt werden (Einstellungsstopp). Zudem müssen Wechsel aus der Privatwirtschaft in die Verwaltung erschwert werden. Zur Leistungs- und Effizienzsteigerung ist im Gegenzug die Digitalisierung von optimierten Verwaltungsprozessen konsequent und schneller als bisher voranzutreiben.

Bestehende Gesetze und Verordnungen müssen einer Generalrevision unterzogen und dabei auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. Überflüssige und redundante Regelwerke sind unverzüglich außer Kraft zu setzen. Überdies sind künftig weniger Gesetze zu erlassen (Belastungsmoratorium). Diese sind außerdem mit einem „Verfallsdatum“ zu versehen. Die Reduzierung von Gesetzen gelingt, wenn sich der Gesetzgeber auf die Regulierung wirklich wesentlicher Sachverhalte beschränkt. Die oft zu beobachtende Praxis, dass aus „einfachen“ von den Parlamenten erlassenen Gesetzen durch die Verwaltung in der Umsetzung „Bürokratiemonster“ gemacht werden, ist schnellstens zu unterbinden. Dazu bedarf es aber auch einer besseren Vollzugsfähigkeit von Gesetzen. Ein Zugewinn an Legitimität von Gesetzgebungsverfahren kann auch durch mehr Bürgerbeteiligung erreicht werden, z. B. in Form von Reallaboren, wobei Gesetze erst als Piloten getestet und dann entweder nicht in Kraft gesetzt oder wo erforderlich verbessert werden.

In einer beschleunigten und komplexeren Welt geht es um agile und flexible Strukturen. Good Governance muss daher als Zusammenspiel von Kultur, Führung und agiler/flexibler Verwaltungsstrukturen verstanden werden. Verwaltungen müssen sich als lernende Organisation verstehen. Es müssen mehr unternehmenspraktische Expertise und Kompetenzen Einzug halten, um Verwaltungen ähnlich wie Unternehmen führen zu können. Die Steuerung muss über strategische Ziele und realistische Kennzahlen erfolgen. Zur Erfolgskontrolle sind messbare Indikatoren (Key Performance Indicators) heranzuziehen. Schließlich bedarf es auch einer modernen Führungs-, Risiko- und Fehlerkultur, um behördliches Ermessen zugunsten der Antragsteller ausüben zu können. Verwaltung muss sich ab sofort als dienstleistender Ermöglicher begreifen, der Wege aufzeigt, wie Vorhaben realisiert werden können. Compliance-Kodizes sind dabei stets einzuhalten.

Die in weiten Teilen der Verwaltung erforderliche größere Wertschätzung des Unternehmertums kann durch die Beseitigung der vorherrschenden Misstrauenskultur erreicht werden. In diesem Sinne sollten z. B. im Baurecht Gutachtenpflichten reduziert werden. Hinsichtlich von Nachweis- und Berichtspflichten muss es künftig ausreichen, diese lediglich einmal einzureichen („Once only“-Prinzip), wenn es um ein und denselben Sachverhalt geht (z. B. Nachhaltigkeitsberichterstattung). Grundsätzlich sind Betriebsprüfungen vor Ort der Vielzahl von aufwendigen Berichtspflichten vorzuziehen. Genehmigungsverfahren können verkürzt werden, wenn sie durchweg digital und aus einer Hand (one-stop-shop) erbracht werden.

5. Staatsfinanzen 2030 – Anforderungen an eine solide Haushaltspolitik

Die Wirtschaft erwartet von der Haushaltspolitik, dass sie ein stabiles, wettbewerbsfähiges und nachhaltiges Umfeld schafft, in dem Unternehmen wachsen und prosperieren können. Deutschland droht aktuell bei strategisch wichtigen Feldern den Anschluss zu verlieren. Die Haushaltspolitik in Deutschland sieht sich vor diesem Hintergrund in den kommenden Jahren großen Herausforderungen gegenüber, die mit Blick auf die Wirtschaft sowohl kurzfristige als

auch langfristige Auswirkungen haben können:

  • Demografischer Wandel: Eine alternde Bevölkerung erhöht den Druck auf soziale Sicherungssysteme und öffentliche Dienstleistungen und erfordert Anpassungen in der Renten- und Gesundheitsfinanzierung.
  • Klimawandel und Umweltpolitik: Die Finanzierung von Maßnahmen zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie zur Förderung der Nachhaltigkeit erfordert erhebliche Investitionen und eine Neuausrichtung der staatlichen Ausgaben.
  • Wirtschaftliche Unsicherheiten: Globale und regionale wirtschaftliche Schwankungen, geopolitische Konflikte und Handelsstreitigkeiten belasten die deutsche Wirtschaft und damit die Haushaltslage (konjunkturabhängige Einnahmen).
  • Investitionsstau: Viele wirtschaftsnahe Bereiche, wie Infrastruktur und Digitalisierung, erfordern dringende Investitionen, die jedoch oft durch Haushaltsrestriktionen limitiert werden. Der Staat investiert deshalb in Summe zu wenig. Damit verbunden sind ein Verschleiß der vorhandenen Infrastruktur und eine fehlende Modernisierung bzw. ein fehlender Ausbau für die Anforderungen der Zukunft.
  • Zinsniveau: Steigende Zinsen und volatile Kapitalmärkte erhöhen die Kosten für die öffentliche Verschuldung und schränken Handlungsspielräume für neue Investitionen ein.
  • Bürokratische Hürden: Komplexe Regelungen und bürokratische Prozesse belasten nicht nur Unternehmen, sie beeinträchtigen auch die Effizienz öffentlicher Ausgaben und von Verwaltungsprozessen selbst.

Diese Herausforderungen erfordern in den kommenden Jahren ein Umsteuern sowie eine vorausschauende und flexible Haushaltspolitik, die sowohl die aktuellen als auch die zukünftigen Bedürfnisse der Gesellschaft und der Wirtschaft berücksichtigt. Daraus ergeben sich Handlungsfelder in den folgenden Bereichen:

5.1. Öffentliche Haushalte – Vorfahrt für Investitionen

Die öffentlichen Haushalte in Deutschland bis 2030 werden von Herausforderungen und Trends bestimmt, die die fiskalische Politik und die Haushaltsplanung beeinflussen werden. Mit dem Prinzip „Vorfahrt für Investitionen“ soll darauf hingewirkt werden, durch gezielte Ausgaben die wirtschaftliche Basis zu stärken und zukünftiges Wachstum zu sichern. Als Eckpfeiler für die Haushaltspolitik bis 2030 sind folgende Grundsätze zu verankern:

  • Deutschland hat in erster Linie ein Ausgabenproblem und – trotz konjunktureller Schwankungen – kein Einnahmeproblem. Die Staatsausgaben müssen deshalb konsolidiert werden, anstatt über Einnahmeerhöhungen nachzudenken.
  • Ausgeglichene Haushalte müssen das Leitmotiv der Fiskalpolitik bleiben. Strukturelle Defizite führen zur Anhäufung von Schulden und gefährden auf Dauer die finanzielle Stabilität des Staates als Ganzes.
  • In allen Politikfeldern müssen auch die Wechselwirkungen zum Haushalt stärker berücksichtigt werden. Zum Beispiel entlastet auch eine gezielte Zuwanderungspolitik, die Fach- und Arbeitskräfte nach Deutschland bringt, die öffentlichen Haushalte.
  • Ein Mehr an Sozialleistungen führt hingegen zu steigenden Ausgaben im staatlichen Bereich. Dies ist zu überdenken.
  • Alle Ressorts müssen durchforstet werden – auch schmerzliche Einschnitte müssen auf den Tisch. Es gilt, Prioritäten zu setzen und das staatliche Handeln auf Kernthemen zu fokussieren.
  • Strategische Investitionsfelder stärken: Bildung, Infrastruktur, Digitalisierung. Diese Bereiche sind entscheidend für die langfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Aber auch hier gilt: Konzentration auf die Kernthemen.
  • Wenig wertschöpfungsrelevante Ausgaben (konsumtiver Bereich) müssen reduziert werden – Vorrang für Investitionen!
  • Damit geht einher, den Aufwuchs an Mitarbeitern in der öffentlichen Verwaltung zu stoppen. Ein wirklicher Bürokratieabbau kann nur dann umgesetzt werden, wenn das Verwaltungspersonal spürbar reduziert wird.
  • Steuererhöhungen verbieten sich in der anhaltend schwierigen konjunkturellen Situation – dafür fehlt jedwede Akzeptanz bei Bürgern und Unternehmen.
  • Zuschüsse aus Steuermitteln für die Sozialversicherung müssen reduziert werden, ohne dass es hierdurch zu Beitragssteigerungen kommt. Auch die sozialen Sicherungssysteme müssen in erster Linie durch ein wirkungsvolles Ausgabenmanagement ausbalanciert werden.
  • Staatsverschuldung für Investitionen ist gerechtfertigt, Investitionsrückflüsse müssen jedoch dem laufenden Betrieb und dem Substanzerhalt zugutekommen.
  • Wenn Investitionen nicht vollständig staatlich finanziert werden können, muss auch die Nutzerfinanzierung stärker in den Blick rücken – dann aber mit einer zweckgebundenen Finanzierung (z. B. Straßenausbau).
  • Die Schuldenbremse ist und bleibt ein sinnvolles Instrument. Sie fördert eine disziplinierte Haushaltspolitik, indem sie eine Obergrenze für die Neuverschuldung festlegt. Dies hilft, Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. An der Schuldenbremse ist daher festzuhalten. Anpassungen sind nur im Zuge einer strategischen Gesamtplanung möglich. Dazu gehört die Schärfung der Definition einer außergewöhnlichen Notlage gemäß Artikel 115 Grundgesetz, um ein Aussetzen der Schuldenbremse tragfähig begründen zu können. Unumstößlich muss dabei sein, dass kreditfinanzierte Maßnahmen ausschließlich investiven Zwecke betreffen dürfen.
  • Keine Vergemeinschaftung von Schulden innerhalb der EU! Die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten könnten die Umsetzung gemeinsamer Schuldenregeln kompliziert machen. Es gibt dann weniger Anreize, diszipliniert mit den eigenen Haushalten umzugehen. Dies verringert die politische Akzeptanz. Ein einheitlicher EU-Kapitalmarkt erfordert verbindliche Regeln zur Schuldenbegrenzung, deren Nichteinhaltung konsequent sanktioniert wird.
  • Fonds und alternative Finanzierungsinstrumente können eine sinnvolle Ergänzung sein, um Investitionslücken zu schließen. Kapitalgeber werden sich jedoch nur dann dafür finden, wenn eine ausreichende Rendite erwirtschaftet werden kann.
  • Keine Schatten- und Nebenhaushalte aufbauen. Bilanzierungsprinzipien für Klarheit und Transparenz, wie sie für die Wirtschaft gelten, müssen auch Grundlage des staatlichen Handelns sein.

Fazit: In der Haushalts- und Fiskalpolitik müssen in den kommenden Jahren mutige Entscheidungen getroffen werden, die langfristig ausgerichtet sind und mehrere Legislaturperioden überdauern. Ohne tragfähige Staatsfinanzen wird es nicht gelingen, in Deutschland und Europa langfristig Wohlstand zu sichern, und es drohen weitreichende Einschnitte.

5.2. Steuersystem – wettbewerbsfähig und praxistauglich aufstellen

Die Haushalts- und Steuerpolitik bilden eine Einheit. Ein wettbewerbsfähiges und praxistaugliches Steuersystem muss ebenso darauf abzielen, Effizienz und wirtschaftliches Wachstum zu fördern. Es verbindet einfache, transparente Regelungen mit der Zielsetzung, Unternehmen und Bürger nicht übermäßig zu belasten. Auch bei den Steuern muss es Vertrauen geben – dies heißt einerseits Vertrauen in den Staat setzen, und ebenso muss der Staat Vertrauen den Unternehmen entgegenbringen. Folgende Eckpunkte sind für ein modernes Steuersystem des Jahres 2030 umzusetzen:

- Rechtsformneutraler Unternehmenssteuersatz von 25 Prozent (Gesamtbelastung).

- Keine Steuererhöhungen sowie keine Einführung neuer und zusätzlicher Steuern.

- Die Gewerbesteuer als wichtigste Einnahmequelle für Kommunen könnte als kommunale Unternehmenssteuer mit Hebesatzrecht aufgesetzt werden, wobei die Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer übereinstimmen muss.

- Starke Reduzierung aller steuerlichen Ausnahmen und mithin Schaffung einer breiten Bemessungsgrundlage, die im Gegenzug niedrige Steuersätze ermöglicht.

- Europäische Harmonisierung steuerlicher Regeln, u. a. Ausdehnung des Reverse Charge-Prinzips bei der Umsatzsteuer.

- Das Steuerrecht knüpft nach wie vor an physische Betriebsstätten an. Dies wird digitalen Geschäftsmodellen nicht gerecht – auch dafür braucht es europäische Lösungen.

- Abschaffung der Erbschaftsteuer, da Aufkommen und Bürokratieaufwand zur Erhebung in keinem Verhältnis zueinanderstehen, oder alternativ Einführung einer geringen Flat-Tax (max. 10 Prozent) unter Abschaffung aller Ausnahmetatbestände.

- Vollständige Aufhebung des Solidaritätszuschlags.

- Weitere Digitalisierung der Steuerverwaltung unter dem Leitbild „Gleiche Pflichten für Steuerpflichtige und Verwaltung“ – nicht nur Auflagen für die Bürger und Unternehmen schaffen, sondern auch seitens der Verwaltung beachten. Auch Prozesse aus der Verwaltung heraus müssen digital sein. Ansätze dafür sind:

o alle Bundesländer nutzen eine einheitliche Software für Steuerbescheide, Betriebsprüfungsberichte usw.,
o digitale Steuerbescheide werden Unternehmen zur Verfügung gestellt,
o zeitgemäße Ausstattung der Finanzverwaltung (Technik, Software),
o Einführung einer Genehmigungsfiktion für Anträge (3 Monate),
o bundeseinheitliche Vorgehensweise in der Steuerverwaltung.

5.3. Bund-Länderfinanzbeziehungen wettbewerblicher organisieren

Eine stärker wettbewerbliche Organisation der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern setzt auf mehr Eigenverantwortung, stärkere Anreize und weniger Abhängigkeit vom Länderfinanzausgleich. Sie zielt darauf ab, die Effizienz und die Innovationsfähigkeit der Länder zu steigern, ohne dabei die Solidarität zwischen wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Regionen zu vernachlässigen. Dem Bund kommt in diesem Prozess auch weiterhin eine regulatorische Aufgabe zu.

Folgende Eckpunkte sollten für eine Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen bis 2030 aufgegriffen werden:

- Das Solidarprinzip ist weiterhin notwendig, auch, um einer weiteren Abwanderung aus strukturschwachen Regionen entgegenzuwirken. Für Ostdeutschland ergeben sich hier immer noch besondere Aufgabenstellungen: Unternehmenszentralen fehlen und die Wirtschaft ist flächendeckend kleinteilig aufgestellt. Aber auch in Westdeutschland gibt es strukturschwache Regionen, die einer besonderen Unterstützung seitens der Politik bedürfen.

- Der Staat muss strategische Entscheidungen für die langfristige Entwicklung treffen. Dafür ist auch im Föderalismus eine engere Abstimmung von Bund, Ländern und Kommunen notwendig. Ebenso muss die Verzahnung zur Strukturförderung der EU berücksichtigt werden. Die Aufgabenverteilung auf staatlichen Ebenen ist in diesem Kontext kritisch zu hinterfragen.

- Transparenz über Einnahmen und Ausgaben stärkt das Verständnis für Entscheidungen der Politik. Staatliches Handeln ist dann für Unternehmen und Bürger besser nachvollziehbar.

- Ein generelles Ziel muss sein, stärkere und wirksame Anreize zu entwickeln. Die Länder könnten mehr Freiräume bei der Förderung von Wirtschaft, Wissenschaft und Innovation entwickeln. Dies könnte auch durch die Kompetenz zur Gewährung von Steuererleichterungen umgesetzt werden.

- Insgesamt ist eine Erhöhung der Steuerautonomie, insbesondere für die Länder, ein probates Instrument, um gezielt auf regionale wirtschaftliche Gegebenheiten einzugehen und sich im Wettbewerb zu positionieren.

- Aber auch auf der Ausgabenseite kann Effizienz honoriert werden. Länder, die hier eine besondere Haushaltsdisziplin zeigen, könnten z. B. durch Bonuszahlungen oder reduzierte Abgaben belohnt werden.

6. Bildung 2030 – Anforderungen für ein exzellentes Bildungssystem

Bildung ist ein wichtiger Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft und der Wirtschaft in unserem Land. Für die Jahre ab 2025 müssen daher die Anforderungen an ein exzellentes Bildungssystem im Mittelpunkt der politischen Debatte stehen. Es muss gelingen, eine praxisnahe und auf die zukunftsrelevanten Themen fokussierende Bildungslandschaft zu etablieren. Das bildungspolitische Konzept muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und guten Praxisbeispielen aufbauen. Der Bildungsföderalismus muss effektiver gestaltet werden. Die Qualität der Bildung und auch die Bildungsgerechtigkeit sind wieder stärker in den Blick zu nehmen. Zur langfristigen Sicherung des Fachkräftebedarfs der deutschen Wirtschaft muss insbesondere die berufliche Bildung exzellent aufgestellt werden.

6.1. Organisation der Bildungspolitik – Bildungsföderalismus effektiver gestalten

Mit Blick auf den Föderalismus und Bildungskoordination zwischen Bund und Ländern ist zunächst zu konstatieren, dass die föderale Organisation des deutschen Bildungssystems Vor- und Nachteile aufweist. Während die Länder eine größere Nähe zu regionalen Bildungsanforderungen bieten, führen unterschiedliche Standards oft zu Ungleichheiten. Um diese zu glätten, ist eine stärkere Koordinierung auf Bundesebene vonnöten. Um bundeseinheitliche und vergleichbare Standards in der Schulbildung herzustellen, ist es zu empfehlen, die Expertise des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) heranzuziehen, da in der Berufsbildung seit je her erfolgreich nach einheitlichen Standards ausgebildet und geprüft wird. Auch Beispiele aus der Schweiz zeigen, dass eine zentral koordinierte Bildungsstrategie, die den föderalen Charakter wahrt, erfolgreich sein kann. Auf Basis dieser Vorbilder sollte die Kultusministerkonferenz (KMK) gemeinsam und im engen Schulterschluss mit der nächsten Bundesregierung eine „Bildungsagenda Deutschland 2035“ erarbeiten. Unstrittig muss sein, dass sich dabei an den nachgewiesenermaßen besten Standards im deutschen und auch im internationalen Vergleich orientiert werden muss.
Dass der Bund nach erfolgter verfassungsrechtlicher Anpassung seit einigen Jahren beim Digitalpakt Schule in die Mitfinanzierung der Schulen eingestiegen ist, war notwendig, da die zunehmende Digitalisierung und der künftig wachsende Einsatz von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz zu neuen Anforderungen für alle Akteure des Bildungssystems führt. Digitale Lernplattformen, automatisierte Datenanalysen und Bildungscontrolling können die Organisation und das Management des Bildungssystems verbessern. Estland ist ein Vorreiter bei der Implementierung einer umfassend digitalisierten Bildungslandschaft, an dem sich orientiert werden sollte. Ziel muss es sein, eine nationale Bildungsplattform zu schaffen, die den Zugang zu Bildungsressourcen für alle Schülerinnen und Schüler verbessert und dabei den Datenschutz beachtet und die Autonomie der Schulen respektiert.

6.2. Mehr Bildungsqualität und Bildungsgerechtigkeit ‒ aber wie?

Soll künftig in unserem Land mehr Bildungsqualität und -gerechtigkeit als bisher einziehen, so ist die frühkindliche Bildung ein wesentlicher Schlüssel dafür. Investitionen in frühkindliche Bildung sind entscheidend für Chancengerechtigkeit. Studien, wie der Bildungsbericht der OECD, zeigen, dass Kinder, die zu Hause nicht ausreichend gefördert werden, durch qualitativ hochwertige frühe Förderung von Anfang an unterstützt werden müssen. Deshalb muss der flächendeckende und bedarfsgerechte Ausbau von Kitas von allen politischen Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) auskömmlich finanziert werden, um vor allem sprachliche und soziale Entwicklung der Kinder zu fördern. Gute Praxisbeispiele finden sich in den skandinavischen Ländern, wo bereits im Vorschulalter gezielt auf die Schulausbildung vorbereitet wird.

Bildungsqualität hängt maßgeblich von ausreichend und gut qualifizierten Lehrkräften ab. Neben der attraktiveren Gestaltung des Lehramtsstudiums und der Erzieherausbildung, die z. B. durch eine frühzeitige aktive Einbeziehung in den Unterricht und ein weniger wissenschaftlich ausgerichtetes Curriculum (vgl. Modell der Pädagogischen Hochschule) erreicht werden kann, ist ein kontinuierliches, obligatorisches Fortbildungsprogramm, das sowohl digitale als auch pädagogische Kompetenzen fördert, für Lehrkräfte unerlässlich. Lehrkräfte sollten durch moderne Fortbildungen unterstützt werden, die sich auf neue Lehrmethoden, wie individualisiertes Lernen und adaptive Lerntechnologien, konzentrieren. In Singapur gehört die berufliche Fortbildung zum Pflichtprogramm für Lehrkräfte, was sich erwiesenermaßen positiv auf die Schülerleistung ausgewirkt hat.

Um den unterschiedlichen Bedürfnissen von Lernenden gerecht zu werden, sind Konzepte des individualisierten Lernens sowie adaptive Lehrmethoden hilfreich. Es empfiehlt sich daher, die Umsetzung der Lehrpläne zielgruppenorientierter zu gestalten. In den Niederlanden werden bereits erfolgreich individualisierte Lehrpläne umgesetzt, die auf die Schülerinnen und Schüler je nach Lernniveau und -geschwindigkeit angepasst werden. Digitale Plattformen und Lernanalyse-Tools müssen dafür auch in Deutschland etabliert werden. Als Vorbild könnte hier das Portal „HubbS“ aus der beruflichen Bildung dienen. Insgesamt muss es das Ziel sein, dass jedes Kind eine auf seine Stärken und Schwächen zugeschnittene Förderung erhält.

Bildungsgerechtigkeit bedeutet nicht Gleichbehandlung, sondern Chancengleichheit. Kinder und Jugendliche aus bildungsbenachteiligten Familien benötigen zusätzliche Unterstützung. Wir plädieren für den verstärkten Einsatz und Finanzierung von Schulsozialarbeitern und Mentorenprogrammen, um diesen Schülerinnen und Schülern eine gezielte Unterstützung zu bieten. Ein Vorbild ist das Modellprojekt „Bildungslotsen“ in Hamburg, das benachteiligte Schülerinnen und Schüler bis zum Schulabschluss begleitet.

Für mehr Bildungsqualität und die Eröffnung größerer Zukunftsaussichten muss die Berufsorientierung in allen Schulformen weiter ausgebaut werden. Ziel muss es sein, mehr junge Menschen als bisher in Deutschland für einen Ausbildungsberuf zu gewinnen. Maßnahmen der Berufsorientierung müssen frühzeitig und systematisch aufeinander aufbauend an allen Schulen angeboten werden. Insbesondere durch verpflichtende, längere Betriebspraktika soll es mehr Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden, vor dem Berufseintritt berufspraktische Erfahrungen zu sammeln. Dazu müssen Maßnahmen insbesondere der praktischen Berufsorientierung langfristig verlässlich und auskömmlich finanziert werden. Die Bund-Länder-Bildungskettenvereinbarungen sind deshalb in den Jahren nach 2026 nahtlos fortzuführen.

6.3. Rahmenbedingungen für eine exzellente Berufsbildung

Eine exzellente Berufsbildung zeigt sich primär in einer starken und zeitgemäßen dualen Berufsausbildung. Die duale Ausbildung ist ein international anerkanntes deutsches Erfolgsmodell, das in Zeiten des Fachkräftemangels besonders wichtig ist. Um weiter steter Quell der Nachwuchsgewinnung der Unternehmen hierzulande zu sein und im Wettbewerb mit der hochschulischen Bildung bestehen zu können, muss sie sich jedoch entsprechend anpassen. Berufsbezeichnungen, Berufsbilder und Ausbildungsverordnungen müssen modernisiert, vereinfacht und konsolidiert werden, insbesondere, um den Anforderungen aus der Transformation der Wirtschaft (Digitalisierung der Wirtschaft, Energie- und Klimawende) gerecht zu werden. Entsprechend werden die sogenannten MINT-Berufe zukünftig eine noch größere Bedeutung einnehmen müssen. Im Übrigen bedarf es der Integration digitaler Kompetenzen in alle Ausbildungsberufe. Überbetriebliche Berufsbildungsstätten spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie sind daher dauerhaft und nachhaltig zu finanzieren.

Um dem Fachkräftemangel in den gewerblich-technischen Bereichen entgegenzuwirken, muss die duale Berufsausbildung in diesen Feldern weiter gestärkt werden. Programme, die frühzeitig Interesse an diesen Berufen wecken, wie beispielsweise die „Junior-Ingenieur-Akademie“ in Nordrhein-Westfalen, haben sich als effektiv erwiesen. Solche Programme müssen flächendeckend ausgebaut und finanziell unterstützt werden.

Um die jungen Menschen fit für das zukünftige Berufsleben zu machen, müssen moderne Lernformen und Ausbildungsinhalte an den Lernorten Berufsschule und Ausbildungsbetrieb zum Einsatz kommen bzw. vermittelt werden. Dafür muss die Ausbildung von Lehrpersonal für den Einsatz an Berufsschulen forciert werden. Um für die Ausbildung in den Berufen der Zukunft gerüstet zu sein, braucht es zudem Investitionen in die bauliche Modernisierung und technische Ausstattung der Berufsschulen.

Auch die Verfügbarkeit von ausreichend bezahlbarem Wohnraum für Auszubildende ist für die Attraktivität der dualen Berufsausbildung von großer Relevanz. Insbesondere in den Ballungszentren herrscht ein hoher Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für junge Menschen in Ausbildung. Aber auch im ländlichen Raum gibt es aufgrund unzureichender Angebote des öffentlichen Nahverkehrs und der häufig dezentralen Lage von Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen eine hohe Nachfrage nach Wohnraum für Auszubildende. Deshalb muss das Bundesförderprogramm „Junges Wohnen“ künftig auch einen angemessenen Beitrag zur Schaffung von Internats- und Wohnheimplätzen speziell für Auszubildende leisten. Die diesbezüglichen Mittel sind daher in den kommenden Jahren auf hohem Niveau zu verstetigen.

Insgesamt sind für die duale Berufsausbildung Haushaltsmittel in gleicher Größenordnung wie für die hochschulische Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Zudem muss der Stellenwert der beruflichen Ausbildung in der öffentlichen Wahrnehmung massiv erhöht werden. Die Vorzüge der dualen Berufsausbildung müssen dabei auch von politischen Entscheidern und den öffentlich-rechtlichen Medien stärker als bisher präsentiert und herausgestellt werden. In einer sich schnell verändernden Arbeitswelt ist lebenslanges Lernen unerlässlich. Es gilt daher auch, die berufliche Fort- und Weiterbildung stärker zu fördern und finanzielle Anreize zu schaffen, damit Beschäftigte kontinuierlich ihre Qualifikationen erweitern können. Hierfür ist das Qualifizierungschancengesetz gerade in Zeiten des Strukturwandels und der damit verbundenen Veränderungen in der Arbeitswelt ein sinnvolles Programm, welches auch in den kommenden Jahren fortgeführt werden sollte. In Österreich gibt es überdies das Modell der vom Arbeitgeber unbezahlten „Bildungskarenz“, bei dem Arbeitnehmer für eine begrenzte Zeit berufsbezogene Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ergreifen können, die von der dortigen Arbeitsagentur gefördert werden. Ein solches Modell könnte auch in Deutschland zu einer höheren Motivation zur Fort- und Weiterbildung beitragen. Flankierend dazu muss die Gleichwertigkeit der Abschlüsse der Höheren Berufsbildung (Bachelor Professional und Master Professional) mit den hochschulischen Abschlüssen deutlicher kommuniziert werden. Zudem sind staatlicherseits zügig weitere IHK-geprüfte Fortbildungen mit den neuen Abschlussbezeichnungen zu versehen.

7. Sozialstaat 2030 – Anforderungen für zukunftssichere Sozialsysteme²

Der demografische Wandel wird in den nächsten zehn Jahren zu erheblichen Veränderungen der Bevölkerungsstruktur in Deutschland führen. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird bis zum Jahr 2040 um bis zu sieben Millionen zurückgehen. Diese Verschiebungen stellen insbesondere für die umlagefinanzierten Sozialversicherungszweige eine große Herausforderung dar, da die Beitragseinnahmen zurückgehen, während die Leistungsausgaben steigen.

Um eine nachhaltige Finanzierung der sozialen Sicherung zu garantieren und zugleich ein verlässliches Leistungsangebot vorhalten zu können, sind Reformen notwendig. Mit Blick auf die Lohnnebenkosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist es dabei anzustreben, dass der Gesamtbeitragssatz zur Sozialversicherung dauerhaft bei unter 40 Prozent stabilisiert wird. Zugleich muss der stetige Anstieg der Steuerzuschüsse in die soziale Sicherung gestoppt werden.

7.1. Soziale Sicherungssysteme demografiefest weiterentwickeln

In allen Bereichen der umlagefinanzierten Sozialversicherungszweige müssen Anpassungen vorgenommen werden:

Zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung sind längere Lebensarbeitszeiten unabdingbar. Neben einer konsequenten Umsetzung der Rente mit 67 sollte die Arbeit im Rentenalter stärker gefördert werden. Zudem ist eine frühzeitige Erwerbsbeteiligung von jüngeren Menschen angezeigt. Ernsthaft in Erwägung zu ziehen ist nunmehr auch die Einbeziehung von Staatsbediensteten in das Rentenversicherungssystem.

Bei der gesetzlichen Krankenversicherung muss es gelingen, den Wettbewerb zwischen den Kassen zu stärken, indem beispielsweise mehr Spielräume für Selektivverträge zwischen Kassen und Leistungserbringern geschaffen werden. Zudem ist die Eigenverantwortung der Versicherten über sozial gestützte Selbstbeteiligungen zu stärken.

Für höhere Qualität in der Gesundheitsversorgung und niedrigere Kosten im Gesundheitswesen ist mehr Wettbewerb zuzulassen, da dieser ein wirksames Mittel zur Begrenzung der Ausgabenentwicklung und zur Vermeidung von leistungsbezogenen und strukturell-organisatorischen Ineffizienzen ist. Für mehr Wettbewerb müssen die Handlungsspielräume der Krankenkassen erweitert werden. Dazu sind mehr Vertragsfreiheit bei der Aushandlung von Preisen, Mengen und Qualitäten mit den Leistungsanbietern erforderlich.

Die Ausgabendynamik im Gesundheitswesen muss durch medizintechnischen Fortschritt, Digitalisierung und intelligent vernetzte Versorgungsstrukturen gebremst werden. Mit Digitalisierung und medizintechnischem Fortschritt kann die Qualität der Versorgung bei gleichzeitiger Realisierung von Effizienzpotenzialen erhöht werden. Ohne Wettbewerbsdruck besteht jedoch für Leistungserbringer kein Anreiz, niedrigere Kosten an die Versicherungen und damit die Beitragszahler weiterzugeben.

Im Gegenzug brauchen die Krankenkassen größere Gestaltungsspielräume bei der Angebotsgestaltung für die Versicherten. Diesbezüglich sollten Auswahloptionen für die Versicherten angeboten werden, bezüglich derer definiert werden muss, welche solidarisch über die Beiträge zu finanzieren sind.

Zur Steigerung des Kostenbewusstseins der Versicherten ist z. B. eine Gebühr für jeden Arztbesuch in Erwägung zu ziehen. Für die Wahl des Leistungserbringers benötigen Versicherte im Gegenzug mehr Transparenz bezüglich der Kosten und Qualität der Leistungserbringung.

Um Kosten z. B. durch Doppelbehandlungen zu vermeiden, ist die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen flächendeckend auszubauen. Ziel muss ein komplett vernetztes und digitales Gesundheitswesen sein. Über die elektronische Patientenakte muss der Austausch wichtiger medizinischer Daten unter allen Akteuren des Gesundheitssystems ermöglicht werden.

Bezüglich der sozialen Pflegeversicherung sollte in Erwägung gezogen werden, künftig komplett auf ein Kapitaldeckungsverfahren umzusteigen. Unabhängig davon muss die soziale Pflegeversicherung weiterhin eine Teilleistungsversicherung bleiben. Dabei ist ein Teil der im Pflegefall tatsächlich anfallenden Kosten von den Pflegebedürftigen selbst zu tragen. Eine pauschale Deckelung dieses Eigenanteils ist im Hinblick auf die Stabilisierung des Systems nicht zielführend. Überdies würde dadurch die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit keine Berücksichtigung erfahren. Um im Gegenzug die individuelle Überlastung durch die Eigenanteile zu verhindern, muss die private Pflegevorsorge gestärkt werden, z. B. durch die Einführung einer „Eigenanteilsversicherung“. Ergänzend sollte die staatliche Zulagenförderung für die private Pflegevorsorge ausgebaut werden.

Einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme leistet überdies eine anreizstarke familien- und kinderfreundliche Politik. Familienpolitik ist eine Querschnittsaufgabe und muss daher künftig in allen Politikbereichen mitgedacht werden. Ziel muss es dabei sein, dass sich die Geburtenrate in Deutschland von derzeit 1,35 langfristig auf zwei Kinder je Frau erhöht. Der Ausbau von Betreuungskapazitäten, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine größere Transparenz und vereinfachte Zugänglichkeit zu Unterstützungsleistungen für Familien und Alleinerziehende mit Kindern sind nur einige Auf-gaben, die weiter konsequent verfolgt werden müssen.

7.2. Gesellschaftlichen Wohlstand durch Arbeit sichern

In der deutschen Arbeitsmarktpolitik ist eine Umsteuerung dringend notwendig. Die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass das Volumen an im Jahr geleisteten Arbeitsstunden mittlerweile das geringste aller EU-Staaten ist. Die mit dem „Bürgergeld“, zusätzlichen weiteren staatlichen Unterstützungsleistungen3 und gesetzlichen Regelungen zur vereinfachten Nutzung von Teilzeitbeschäftigung falsch gesetzten Anreize sind ursächlich dafür, dass sich die Aufnahme von Arbeit in Vollzeit für viele Menschen aktuell schlicht nicht lohnt.

Unseren Wohlstand langfristig zu sichern, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jeder muss hier wieder mehr Verantwortung übernehmen. In Deutschland muss wieder gesellschaftlicher Konsens darüber hergestellt werden, dass Wirtschaft und Arbeit die Grundlagen unseres Wohlstandes sind. Es muss daher schnellstmöglich die Rückkehr zum bewährten Prinzip des „Forderns und Förderns“ erfolgen. Dazu muss zunächst das als bedingungsloses Grundeinkommen angelegte „Bürgergeld“ abgeschafft werden. Arbeitsagenturen und Jobcenter müssen wieder legitimiert werden, Sanktionen auszusprechen, wenn zumutbare Arbeitsangebote ausgeschlagen werden. Um mehr Menschen in Arbeit zu bringen, muss zudem das Lohnabstandsgebot konsequent eingehalten werden. Es ist aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht zu verantworten, dass die staatlichen Sozialtransfers in Summe nahezu das Niveau des in den vergangenen Jahren ohnehin schon beträchtlich gestiegenen gesetzlichen Mindestlohns erreichen. Insgesamt muss soziale Unterstützung mehr auf Arbeitsmarkt(re)integration gelenkt werden.

In einer marktwirtschaftlichen Grundordnung erfolgt die Preisbildung am Arbeitsmarkt durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Entgegen dieser Prämisse gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn. Dieser darf jedoch nicht nochmals eigenmächtig von der Politik festgelegt werden. Für die Bestimmung der Höhe ist die dafür eingesetzte Expertenkommission verantwortlich. An dieser Stelle wird darauf verwiesen, dass die in den vergangenen Monaten kräftig gestiegenen Arbeitskosten aktuell das größte Geschäftsrisiko der Unternehmen in der Region darstellen.

Angesichts der unterdurchschnittlichen Erwerbsbeteiligung von jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren muss die duale Berufsausbildung, für die sich aktuell nur knapp die Hälfte der Jugendlichen entscheidet, forciert werden. Sie stellt sicher, dass man mit bereits 19 bis 20 Jahren als Facharbeiter in das Berufsleben eintreten kann. Ohnehin ist der Fokus wieder stärker auf praktische, produzierende und mithin produktive Tätigkeiten zu lenken. Der anhaltende Trend zur Aufnahme von Verwaltungsjobs trägt jedenfalls nicht zur wirtschaftlichen Wertschöpfung bei. Schließlich sollte das Recht auf Teilzeit künftig wieder an konkrete Anlässe, wie z. B. im Falle der Pflege Angehöriger, geknüpft werden.

7.3. Migration effektiv in den Arbeitsmarkt steuern

Damit der Arbeits- und Fachkräftebedarf in der deutschen Wirtschaft in den kommenden, durch vermehrte Renteneintritte gekennzeichneten Jahren gedeckt werden kann und mithin eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand geschaffen wird, ist die verstärkte Beschäftigung von Menschen aus dem Ausland eine Grundvoraussetzung. Die IHK zu Leipzig setzt sich daher für eine die Wirtschaft und die Sozialsysteme fördernde Migrationspolitik ein. Migration muss gesteuert werden und sich dabei konsequent an den qualitativen und quantitativen Bedarfen des heimischen Arbeitsmarktes orientieren.

Um eine den Bedarfen der Wirtschaft entsprechende Zuwanderung zu erleichtern, ist eine weitere Vereinfachung der für hiesige Unternehmen und ausländische Fachkräfte noch immer zu komplexen und komplizierten Regelungen des Fachkräftezuwanderungs- sowie des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz (BQFG) notwendig. Die Erteilung von Aufenthaltstiteln und das Erfordernis der Anerkennung und Bewertung von ausländischen Berufsabschlüssen darf nicht länger in kleinteiliger behördlicher Genehmigungs- und Anerkennungs-Bürokratie ausarten, denn nur so kann das sogenannte „Beschleunigte Fachkräfteverfahren“ auch seinem Anspruch bzw. seiner Bezeichnung gerecht werden. Angesichts der angespannten Arbeits- und Fachkräftesituation bedarf es ohnehin viel mehr pragmatischer Lösungen. So sollte es künftig primär den individuellen Entscheidungen von Unternehmern überlassen werden, ob eine ausländische Arbeitskraft im eigenen Betrieb eingestellt wird. Behördliche Genehmigungen, ob dafür sämtliche qualifikatorische und sonstige Voraussetzungen gegeben sind, müssen in den Hintergrund treten.

Um den ausländischen Arbeits- und Fachkräften, Ingenieuren, Forschern, Wissenschaftlern, Medizinern und ihren Familien den Start in Deutschland reibungslos zu ermöglichen, muss eine echte Willkommenskultur in den Städten und auf dem Land gelebt werden. Hierfür ist auch der flächendeckende Ausbau von kommunalen Willkommenszentren notwendig, die etwa bei der Erstausstattung, den notwendigen Behördengängen und der Vermittlung von Wohnraum sowie von Sprachkursen unterstützen.

Eine gute Integration in den Unternehmen und in der Gesellschaft insgesamt gelingt zuvorderst durch den schnellen Erwerb der deutschen Sprache. Zudem muss sich mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten vertraut gemacht werden, um im beruflichen und gesellschaftlichen Alltag gut Fuß fassen zu können. Deshalb ist auch auf lange Sicht ein ausreichendes Angebot von BAMF-geförderten Sprach- und Integrationskursen notwendig.

Schließlich muss die Bundesregierung mit weiteren Ländern Fachkräfteabkommen abschließen, um dem zunehmenden Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft zu begegnen. Die jüngsten Abkommen mit Indien und den zentralasiatischen Ländern sind hierfür wegweisend.

Fußnoten

¹ Vgl. hierzu im Folgenden Dettling (2022): „STAATSREFORM 2030: Effektiv, agil und resilient in die Zukunft - Zur Aufgabe und Rolle des deutschen Staates im 21. Jahrhundert“

² Vgl. hierzu im Folgenden VBW (2021) „Sozialstaat der Zukunft“.

³ Betrug der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 2010 noch 29 Prozent, waren es 2020 bereits 34 Prozent. Trotz steigender Beschäftigung und sinkender Arbeitslosenzahl stiegen die Sozialausgaben bereits vor der Corona-Krise in den Jahren 2017 bis 2020 um 16 Prozent, während das Bruttoinlandsprodukt in diesem Zeitraum nur um lediglich 2,2 Prozent zulegte. (Quelle: BMAS)

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