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Scheinselbstständigkeit

Allgemeines zur Scheinselbstständigkeit

Die sog. Scheinselbstständigkeit ist gegeben, wenn ein Vertragsverhältnis zwar als selbständiger Dienst- oder Werkvertrag bezeichnet und behandelt wird, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeit in einem Arbeitsverhältnis geleistet wird. Bei der Beschäftigung von Scheinselbstständigen drohen einem Unternehmen unter Umständen sehr hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer sowie der Verlust von Vorsteuerabzügen bei der Umsatzsteuer. Die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge stellt eine Straftat gem. § 266a StGB, die Nichtabführung der Lohnsteuer eine Straftat gem. § 370 AO dar. In arbeitsrechtlicher Hinsicht führt Scheinselbstständigkeit zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses unter Anwendung aller Arbeitnehmerschutzvorschriften, insbes. zum Kündigungsschutz.

(Status)Feststellung einer Scheinselbstständigkeit

Der Arbeitnehmer- bzw. Beschäftigten-Begriff im Arbeits-, Sozialversicherungs- und Lohnsteuerrecht unterliegt jeweils eigenen Definitionen, die sich jedoch in weiten Teilen decken. Entscheidendes Merkmal eines arbeits- bzw. sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist dabei die persönliche Abhängigkeit. Diese liegt vor bei einer Eingliederung in den Betrieb und einer Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Für die Statusfeststellung der Scheinselbstständigkeit können u.a. folgende Kriterien herangezogen werden:

  • persönliche, nicht nur wirtschaftliche Abhängigkeit;
  • Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit, Dauer und Inhalt der Tätigkeit
  • Bindung an feste Arbeitszeiten/Kernzeiten und an einen festen Arbeitsplatz;
  • Eingliederung in die betriebliche Organisation, z. B. Aufnahme in Organigramm, Telefonverzeichnis, E– Mail-Verteiler, gestellte E–Mail-Adresse, Visitenkarte des Auftraggebers;
  • identische Tätigkeit wie andere Arbeitnehmer;
  • Vertretung bei Abwesenheit/Urlaub durch eigene Arbeitnehmer des Auftraggebers;
  • Tätigkeit nur für einen Auftraggeber;
  • keine eigene Betriebsstätte, keine eigenen Mitarbeiter, kein Recht eigene Mitarbeiter zur Vertragserfüllung einzusetzen;
  • keine nennenswerte Selbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit;
  • Schulden der eigenen Arbeitskraft, nicht eines Arbeitserfolges;
  • kein eigenes Unternehmerrisiko, kein Kapitaleinsatz, keine Pflicht zur Beschaffung von wesentlichen Arbeitsmitteln;
  • Nutzung von Betriebsmitteln des Auftraggebers;
  • Ausführung von einfachen bzw. untergeordneten Tätigkeiten, die üblicherweise von Arbeitnehmern ausgeführt werden und bei denen eine Weisungsgebundenheit die Regel ist;
  • Erhalt typischer Arbeitgeberleistungen wie festes oder konstant gleiches Gehalt/Honorar, Überstundenvergütung, Urlaubsanspruch, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall etc.;
  • Erkennbarkeit des externen Fremdpersonals von außen.

Im Rahmen der Statusfeststellung sind alle für und gegen einen Arbeitnehmer/Beschäftigten-Status sprechenden Umstände im Wege einer Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen. Entscheidend für die Beurteilung ist dabei nicht der Wortlaut einer Bezeichnung, z. B. als freier Mitarbeiter, sondern die tatsächliche Durchführung, wenn diese nicht mit dem Vertragsinhalt übereinstimmt.

Verfahren zur (Status)Feststellung einer Scheinselbstständigkeit

Nach § 7a bzw. § 28h Abs. 2 SGB IV haben Auftraggeber und Auftragnehmer die Möglichkeit, eine Entscheidung zu beantragen, ob eine sozialversicherungsfreie Tätigkeit oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Das Verfahren kann von beiden Parteien gemeinsam oder einzeln eingeleitet werden. Im Verfahren nach § 7a SGB IV entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund, im Verfahren nach § 28h Abs. 2 SGB IV entscheiden die Krankenkassen (Einzugsstelle) aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls, ob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Unter bestimmten Voraussetzungen tritt bei Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses die Versicherungspflicht abweichend vom Normalfall nicht bereits mit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses, sondern erst mit Bekanntgabe der Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund ein (§ 7a Abs. 6 SGB IV). Bei einem vom Auftragnehmer eingeleiteten Verfahren ist von Seiten des Unternehmens darauf zu achten, dass das Ergebnis des Verfahrens dem Unternehmen zur Kenntnis gelangt und umgesetzt wird.

Rechtsfolgen der Scheinselbstständigkeit

1. Sozialrecht

Der bisherige Auftraggeber hat nunmehr als Arbeitgeber die üblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die gesetzlichen Krankenkassen abzuführen und den Arbeitnehmer dort als solchen anzumelden. Die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht richtet sich nach der jeweiligen Versicherungssituation (unter anderem Höhe des Einkommens, aktuelle Beitragsbemessungsgrenze). Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber unter Umständen die Sozialversicherungsbeiträge für die letzten vier Jahre nachzahlen muss, er im Regelfall von dem Arbeitnehmer aber nur drei Monate lang einen Teil des Gehaltes einbehalten darf.

2. Arbeitsrecht

Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, so kann der Scheinselbstständige seinen Arbeitnehmerstatus gegebenenfalls einklagen. Das Arbeitsgericht prüft dann anhand der bisherigen Kriterien der Rechtsprechung, ob dem Scheinselbstständigen ein Arbeitnehmerstatus zuerkannt werden kann. Ist dies der Fall, so ist der vermeintlich Selbstständige nun Angestellter mit Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall usw.

3. Steuerrecht

Die Veränderung der Verhältnisse kann auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerrechtlich nachzuvollziehen und haften für die Nachzahlungen als Gesamtschuldner, sie können also beide zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe aufgefordert werden. Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen. Es ist zu beachten, dass die Finanzämter eine eigene Prüfung vornehmen. Die Finanzämter sind nicht an die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung gebunden. Demnach besteht die Gefahr, dass die Finanzämter im Rahmen der Einzelfallbetrachtung zu einem anderen Ergebnis kommen. Es besteht jedoch nach § 42e EStG die Möglichkeit ein Anrufungsauskunftsverfahren durchzuführen. Danach hat das Finanzamt auf Anfrage Auskunft über die steuerrechtliche Bewertung zu erteilen. Scheinselbstständige müssen beachten, dass sie als Arbeitnehmer den einkommensteuerrechtlichen Regelungen unterliegen und durch diese Tätigkeit fortan keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb mehr erzielen. Darüber hinaus schuldet der vermeintliche Auftragnehmer gegebenenfalls die auf seinen bisherigen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Umsatzsteuergesetz, während ein Vorsteuerabzug für den Auftraggeber (der in diesem Fall wie ein Arbeitgeber zu behandeln ist) nicht in Betracht kommen würde. Die Berichtigung der Rechnung ist möglich, soweit der Aussteller der Rechnung den unberechtigten Steuerausweis gegenüber dem Empfänger für ungültig erklärt und die Gefährdung beseitigt wurde. Eine derartige Beseitigung liegt vor, wenn der Vorsteuerabzug nicht durchgeführt wurde oder die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt wurde.

4. Gewerberecht

Spätestens mit der Feststellung der Scheinselbstständigkeit endet auch die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Dies heißt, das Gewerbe muss abgemeldet werden. Auch die gesetzliche Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft enden zu diesem Zeitpunkt.

Hinweis

Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Scheinselbstständigen bleibt schwierig. Viele Einzelfälle und strittige Punkte werden weiterhin von der Rechtsprechung anhand der bisherigen Kriterien zu klären sein. Dabei kann das Ergebnis der arbeitsrechtlichen Prüfung die Auftragnehmerstellung sein, während die sozialversicherungsrechtliche Prüfung derselben Person den Arbeitnehmerstatus zuspricht, verbunden mit der entsprechenden Sozialversicherungspflicht. Insbesondere Existenzgründer sollten sich innerhalb von drei Monaten nach der Aufnahme der Geschäftstätigkeit an die Deutsche Rentenversicherung Bund wenden und schriftlich einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellen. Bei Unklarheiten bezüglich der Scheinselbständigkeit sollte bei der Deutsche Rentenversicherung Bund innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Beschäftigung ein Antrag auf Feststellung gestellt werden.

Aktualisierung: 11.02.2020

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