Wolfram Guenther
Der Staat muss Ideen einen Weg bereitenDer Staat muss Ideen einen Weg bereitenDer Staat muss Ideen einen Weg bereiten

Gespräch mit SMEKUL-Staatsminister Wolfram Günther

10. Mai 2022

Der Staat muss Ideen einen Weg bereiten

Die Transformation einer entwickelten Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit und Schonung von Ressourcen ist alternativlos. Doch an dieser können hiesige Unternehmen partizipieren, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in anderen Branchen. Der Sächsische Vizeministerpräsident und Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft stand der WIRTSCHAFT ONLINE Rede und Antwort und sprach über Förderinstrumente, Potenziale und Zielvorstellungen der Politik.

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Herr Wolfram Günther. Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen, auf unsere Fragen zu antworten. Sie sind ja nicht nur der erste stellvertretende Ministerpräsident im Freistaat Sachsen, sondern zuvorderst Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. Ein riesiges Paket, welches Sie da schultern müssen. Neben all den anderen Themen sind Sie auch für Entscheidungen, die landwirtschaftlichen Unternehmen im Kammerbezirk der IHK zu Leipzig (Leipzig, Nordsachsen, Landkreis Leipzig) betreffend, verantwortlich. Wann waren Sie denn zuletzt bei einem dieser Unternehmen? Und wo?

Wolfram Günther: Ich war jüngst in Arzberg. Erst vor wenigen Tagen bin ich auf dem Biobauernmarkt im Kloster Sornzig gewesen. Und als Leipziger, der jetzt auf einem Vierseithof in der Nähe von Rochlitz lebt, bin ich der Stadt sehr eng verbunden. In unserer Umwelt- und Klimaallianz oder mit unserem eku-Zukunftspreis suchen wir ganz gezielt die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Aber natürlich auch bei den Megathemen Energiewende und Klimaschutz, oder wenn wir über Kreislaufwirtschaft sprechen. Dass durch den Angriffskrieg auf die Ukraine jetzt verstärkt Fragen von Versorgungssicherheit auf unserer Agenda stehen, intensiviert den Austausch mit der Wirtschaft zusätzlich. Kurzum: Unsere Themen – Umwelt, Landwirtschaft, Energie und Klimaschutz – lassen sich nur zusammen mit der Wirtschaft bewegen. Und sie sind gleichzeitig eine konjunkturelle Chance für die Unternehmen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Welche Fördermöglichkeiten gibt es denn in Ihrem Hause für Unternehmen der Landwirtschaft? Wie können Sie strategische Entwicklungen direkt unterstützen?

Wolfram Günther: Zunächst: Die Landwirtschaft bekommt über die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik der EU Einkommensstützung und Förderung für konkrete ökologische Maßnahmen. Da haben wir unter sächsischem Vorsitz im Kreis der deutschen Agrarministerinnen und -minister hart verhandelt, dass es künftig mehr Geld für ökologische und Gemeinwohlleistungen gibt, gleichzeitig aber die gewachsenen großen Agrarstrukturen, die wir im Osten haben, nicht benachteiligt werden. Daneben fördern wir als Landesministerium ganz gezielt regionale und bioregionale Wertschöpfung.

Wir wollen kurze Wege vom Acker auf den Teller. Das heißt, wir müssen die Wertschöpfungsketten zwischen Landwirtin und Landwirt, Verarbeitung, Handel, Außerhausverpflegung viel enger knüpfen. Kurze Wege sind gut für Umwelt und Klima, vor allem aber bieten sie Einkommensperspektiven für alle Beteiligten entlang der Kette, sie stärken also letztlich die ländlichen Räume. Das fördern und befördern wir auf vielen Ebenen. Genauso unterstützen wir Investitionen in die Betriebe, für Präzisionstechnik etwa, die dabei hilft, den Einsatz von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Und wir fördern die ökologische Landwirtschaft. Ich habe ein klares Leitbild: Die Landwirtschaft muss faire Einkommen erzielen können, damit sie mehr zum Schutz von Umwelt und Klima beitragen kann, zum Schutz der Artenvielfalt und zum Tierschutz. Und eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist die Voraussetzung für zukunftsfähige ländliche Räume.

Ein Beispiel für die Unterstützung strategischer Themen: Viele landwirtschaftliche Betriebe stehen vor einem Generationenwechsel. Wir wollen, dass die Betriebe in den Familien oder am Ort bleiben und nicht an Finanzinvestoren fallen. Daher unterstützen wir Hofnachfolgen mit einem eigenen Förderprogramm.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wichtig ist ja schlussendlich auch immer die Zielstellung in der Politik, um nicht in „tote Gleise“ zu investieren. Welche Zielstellung verfolgt Ihr Ministerium für die nächste Zeit? Wie können sich Unternehmen, nicht nur in der Landwirtschaft, daran orientieren und aufstellen?

Wolfram Günther: Wir haben zwei ökologische Krisen zu bewältigen: die Klimakrise und das Artensterben. Und wir haben die Aufgabe, Sachsen an vielen Stellen zu erneuern, Liegengebliebenes wieder in Schwung zu bringen. Ein Beispiel ist die Energiewende. In Sachsen gab es lange Zeit eine Tradition des Verhinderns, obwohl ganz klar war, dass der Weg Richtung Klimaneutralität unumkehrbar ist.

Meine Zielstellung ist, mit allen Transformationen einen Mehrfachnutzen zu schaffen. Wenn wir öffentliches Geld in die Hand nehmen, muss es möglichst mehrere Probleme lösen. Beispiel Landwirtschaft: Wenn wir fördern, dass Landwirtinnen und Landwirte Gehölzstreifen anlegen, dann ist das ein Beitrag für mehr Artenvielfalt. Gleichzeitig aber schützt das den Boden vor Erosion, es hilft, Wasser im Boden zurückzuhalten. Es macht ökologisch Sinn, erhält aber auch die Ertragsfähigkeit des Bodens. Und im besten Fall kann der Landwirt sogar noch nachwachsendes Energieholz ernten. Beispiel Energiewende: Klimaneutralität ist das eigentliche Ziel. Aber ein genauso wichtiges Ziel ist es, dass sächsische Unternehmen mitverdienen auf dem Weg zu Klimaneutralität und Nachhaltigkeit, dass sie teilhaben an den enormen Potenzialen der Green Economy. Und ich bin überzeugt davon, dass nicht der Staat alle notwendigen klugen Ideen entwickeln kann, sondern dass er es den vielen klugen Ideen aus der Gesellschaft möglich machen muss, Wirklichkeit zu werden. Mein Ansatz ist: Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen, Wissenschaft, Initiativen, Verbänden, Vereinen wissen sehr gut, welche Lösungen es für ein bestimmtes Problem braucht. Der Staat muss diesen Ideen einen Weg bereiten.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und wie geht das ganz praktisch?

Wolfram Günther: Wir haben mit unserem Konjunkturprogramm „Nachhaltig aus der Krise“ mit rund 27 Millionen Euro rund 150 Projekte unterstützt, die so einen Mehrfachnutzen verfolgen. Ein Beispiel für die Potenziale der Vielen ist unser eku-Zukunftspreis. Dort leisten wir eine Art Anschubfinanzierung für Projekte, die zum Umwelt- und Klimaschutz und zur Energiewende beitragen. Das sind Projekte von denen, die ich eben aufgezählt habe: Unternehmen, Initiativen, Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger.

Wichtigste Aufgabe derzeit: die Energiewende. Im eku gibt es etwa in Nordsachsen ein Projekt mit schwimmenden Solarmodulen auf einem See. Das zeigt beispielhaft, wie man mit einer Lösung verschiedene Probleme bearbeiten kann: Hier entsteht nachhaltiger Strom aus Sonnenenergie. Zugleich verringert die Anlage auf dem See die Verdunstung – was im wasserarmen Nordsachsen nicht unwichtig ist. Und die lokale Wirtschaft hat an der Wertschöpfung teil, die hier stattfindet.

WIRTSCHAFT ONLINE: Welche Möglichkeiten haben Unternehmen mit Ansprechpartnern in Ihrem Haus in Kontakt zu treten? Mit welchen Problemen aus der praktischen Wirtschaft werden Sie konfrontiert? Und wie versuchen Sie, diese zu lösen?

Wolfram Günther: Die drängendste Frage ist derzeit, wie unsere Energie sicher und bezahlbar bleiben kann. Die Antwort: durch den entschlossenen, noch einmal beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Hier sind wir seit Längerem im festen Austausch mit der Wirtschaft, auch mit den Industrie- und Handelskammern. Der Krieg in der Ukraine hat den Austausch verstärkt. Die Energiewende war lange eine Frage allein des Klimaschutzes. Aber sie ist längst auch eine knallharte Standortfrage. Unternehmen wie BMW oder VW hier in Sachsen müssen klimaneutral produzieren und verlangen das auch von ihren sächsischen Zulieferern. Wenn die das nicht können, weil kein Grünstrom verfügbar ist, werden sie bei der nächsten Vergaberunde nicht mehr berücksichtig. Dann wird das zum Problem für den Standort Sachsen. Eine neue Dimension ist durch den Krieg in der Ukraine hinzugekommen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine Frage der nationalen Sicherheit geworden. Wir lösen das, indem wir in Sachsen Bremsen beim Ausbau lösen, indem wir Akzeptanz stärken, indem wir Kommunen in die Lage versetzen, schnell und beschleunigt Projekte zu ermöglichen. Die Energiewende ist für die sächsische Wirtschaft eine Milliardenchance. Anlagenbauer, Installationsbetriebe, Planungsbüros und viele andere werden durch den Zubau von Windrädern und Photovoltaikanlagen gut gefüllte Auftragsbücher haben.

WIRTSCHAFT ONLINE: Gerade – bevor Corona Sie wieder ausbremste – waren Sie mehrere Tage in Brüssel. Warum? Was wurde mit wem dort besprochen und vielleicht sogar festgezurrt?

Wolfram Günther: In Brüssel hatte ich Gespräche mit dem Spitzenverband der europäischen Solarindustrie, mit dem EU-Umweltkommissar, mit dem Spitzenverband der europäischen Umweltverbände, dem europäischen Bauernverband, mit Euro-Parlamentariern, unter anderem mit Sarah Wiener – eine enorme Themenbreite. Nur zwei Punkte: Europa hat das Ziel, unabhängig von fossilen Energieimporten und klimaneutral zu werden. Sachsen mit seiner Solarindustrie und seiner Halbleiterindustrie ist hier ein ganz dickes, strategisches Cluster auf der Europa-Karte.  Der zweite Punkt: Wir wollen in Sachsen die regionale Wertschöpfung vom Acker auf den Teller stärken, stoßen dabei aber auf Hürden im EU-Wettbewerbsrecht. Diesen Zielkonflikt kann ich in Dresden nicht lösen, also muss ich mit Berlin und Brüssel sprechen. Genau das tun wir.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und ganz konkret?

Wolfram Günther: Mit Landwirtschafts-Generaldirektor Burtscher habe ich über unsere Idee der Gemeinwohlprämie gesprochen. Wir wollen, dass die Landwirtinnen und Landwirte künftig Agrarförderung nicht mehr nach Fläche erhalten, sondern dass sie auf freiwilliger Basis Gemeinwohlleistungen erbringen, zum Beispiel auf ihren Flächen Lebensräume für Insekten, für Vögel oder bedrohte Kleinsäuger erhalten und schaffen, indem sie weniger synthetische Pflanzenschutzmittel einsetzen, Humus im Boden aufbauen und so weiter. Das soll dann nach einem festen Punktesystem entlohnt werden. Diese Idee ist bekannt, muss sich aber bei einigen Entscheidern, auch in Brüssel, noch herumsprechen. Ich habe in Brüssel aber auch über die Revitalisierung des Leipziger Auwalds gesprochen. So ein Wald mitten in einer dynamisch wachsenden Großstadt ist etwas europaweit Besonderes. Thema war in Brüssel aber auch unser grenzüberschreitendes Fernwärmeprojekt in der Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec.

WIRTSCHAFT ONLINE: Die Verteuerung der Energie ist für Unternehmen schmerzhaft spürbar, bringt einige Unternehmen sogar, aufgrund der Nichtkalkulierbarkeit, an Grenzen wirtschaftlichen Handelns. Was kann und muss, Ihrer Meinung nach, die Politik liefern, um wirtschaftliche Einbußen bis hin zur Insolvenz verschiedener Unternehmen abzufedern oder zu verhindern?

Wolfram Günther: Für akute Härten hat die Bundesregierung Hilfen auf den Weg gebracht. Das lindert zumindest das Problem. Man muss aber klar sagen: Wäre der Ausbau der erneuerbaren Energien in der Vergangenheit in Sachsen und anderswo nicht ausgebremst worden, hätten wir das Problem hoher Energiepreise aktuell nicht. Es gibt keine preiswertere und klimafreundlichere Energie als Strom aus Wind und Sonne.

WIRTSCHAFT ONLINE: Schlussendlich müssen wir über Klimakostengerechtigkeit reden. Der Transformationsprozess darf, da sind wir und sicher einig, nicht auf den Rücken der einkommensschwächsten Milieus ausgetragen werden, jedoch dürfen auch nicht Unternehmen, die eigentlich wirtschaftlich gut dastehen, in Bedrängnis kommen. Wie wollen Sie diesen Konfliktherd vor dem Entstehen möglichst sichern?

Wolfram Günther: Wenn Sie mich als Bündnisgrüner fragen, kann ich auf den Vorschlag eines Bürgerenergiegeldes verweisen, das CO2-Bepreisung und sozialen Ausgleich miteinander verbindet. Ich wiederhole es: Keine Energieart ist so preiswert wie Strom aus Wind und Sonne. Wenn wir die Folgekosten der Klimakrise oder die Aufräumarbeiten in den Braunkohlelandschaften mit ihren schwer gestörten Wasserhaushalten mit einrechnen, wird das Bild noch deutlicher. Vor allem werden sächsische Unternehmen von der Energiewende profitieren – Anlagenbauer, Maschinenbauer, Installationsbetriebe, die sächsische Solarindustrie. Das übersetzt sich in sichere Arbeitsplätze, in Ausbildungsplätze, in Perspektiven für Handwerk und Mittelstand.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Herr Günther, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

Das SMEKUL im Netz:

https://www.smekul.sachsen.de/

Ihre Kontaktperson

Bei Fragen hilft Ihnen Benjamin Rummel gerne weiter.

T: +49 341 1267-1263
F: +49 341 1267-1422
E: benjamin.rummel@leipzig.ihk.de

Aufnahme der IHK-Fahnen vor dem Haus

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