Ziener Gert
Interview

Leipziger Neuseenland, Gewässerverbund und Kritik an Behörden

14. August 2023

Gespräch mit Dr. Gert Ziener, Geschäftsführer Grundsatzfragen IHK zu Leipzig

Als in den 1990er-Jahren das Leipziger Neuseenland neu konzipiert wurde, war allerorten Enthusiasmus und Aufbruch zu spüren. Viele Vorhaben wurden seitdem erfolgreich umgesetzt erreicht. Im Hinblick auf die Vollendung, insbesondere des geplanten Gewässerverbundes, knirscht es seit einiger Zeit jedoch gewaltig. Gerade an den Beispielen Harth-Kanal und Störmthaler Kanal zeigt sich exemplarisch, wie man großartige Ideen zum Stillstand bremsen kann. Um wieder Schwung in die Projekte zu bringen, setzt sich die IHK zu Leipzig im Interesse der tourismuswirtschaftlichen Leistungsträger in der Region ein.

Dr. Gert Ziener, Geschäftsführer Grundsatzfragen IHK zu Leipzig, spricht im Interview mit der WIRTSCHAFT ONLINE über den Stand der Dinge, Vorschläge zur Verbesserung des Ist-Zustands und Bremser in den Behörden:

WIRTSCHAFT ONLINE:Guten Tag, Herr Dr. Ziener. Die IHK zu Leipzig fordert die zügige In-Auftrag-Gabe einer Studie zur Machbarkeit einer touristischen Nutzung des Harth-Kanals. Wenn ich richtig informiert bin, ist in das ganze Projekt schon eine Menge Fördergeld geflossen. Markkleebergs OBM Schütze sprach in einem LVZ-Beitrag von 35 Millionen Euro. Worum geht es konkret? Welche Wichtigkeit hat der Harth-Kanal für die wirtschaftliche Entwicklung?

Dr. Gert Ziener: Konkret geht es darum, den Harth-Kanal zwischen Cospudener See und Zwenkauer See, als elementaren Bestandteil des Gewässerverbundes im Leipziger Neuseenland, auch wassertouristisch nutzen zu können. Mit anderen Worten: Es bedarf der Schaffung einer Verbindung, welche die Passage zwischen beiden Seen für Paddler, Kanuten, Wasserwanderer usw. ermöglicht. Damit wäre eine durchgehende Verbindung vom Stadthafen im Zentrum der Stadt Leipzig bis zum Zwenkauer Hafen geschaffen. Die Möglichkeit, längere, ausgedehntere Strecken auf dem Wasser zurückzulegen, macht das Neuseenland für Wasserwanderer, Freizeitpaddler und Touristen als Destination attraktiver. Für Unternehmen im Umfeld der Seen ist dieses Projekt deshalb ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor. Entsprechend nachvollziehbar sind die Forderungen nach einer zügigen Realisierung. Die Investitionen, die jetzt z. B. in den Bau des Stadthafens Leipzig fließen, rentieren sich umso mehr, wenn der Harth-Kanal künftig auch wassertouristisch genutzt werden kann. Obwohl schon etliches Geld in die Planung geflossen ist, liegt ebendiese wassertouristische Umsetzung des Harth-Kanals derzeit leider auf Eis. Die die weitere Finanzierung ist nicht geklärt und der Bergbausanierer LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft GmbH) beabsichtigt offenbar nur noch, die im Rahmen seines Sanierungsauftrages erforderlichen wasserbaulichen Investitionen zu realisieren.  Um das Projekt dennoch am Leben zu erhalten und es doch noch zu verwirklichen, hat die Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, der auch die IHK zu Leipzig angehört, kürzlich eine „Task-Force Harth-Kanal“ gegründet. Deren kurzfristiges Ziel ist es zunächst, die besagte Machbarkeitsstudie bezüglich der touristischen Nutzung auf den Weg zu bringen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Was konkret soll im Rahmen der Machbarkeitsstudie untersucht werden, Herr Dr. Ziener?

Dr. Gert Ziener: Die Task-Force wird zunächst die Aufgabenstellung zur Machbarkeitsstudie definieren. Oberstes Ziel ist, wie gesagt, den sogenannten Kurs 1 vom Stadthafen Leipzig bis zum Hafen Zwenkau befahrbar zu machen. Dabei geht es u. a. um die Dimensionierung des Kanals und des Schleusenbauwerks auch im Hinblick auf die Boots- bzw. Schiffsgrößen, die Fixierung der bereits in den bisherigen Planungen geklärten wassertouristischen Trassenführung, die Untersuchung von Varianten für ein Betreibermodell sowie eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und, damit verbunden, die Recherche von möglichen Finanzierungs- und Förderquellen für die Realisierung des Bauwerks. Eine synchrone Abstimmung von Task-Force und LMBV ist dabei freilich erforderlich.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und welche Finanzierungs- bzw. Fördermöglichkeiten gibt es dafür?

Dr. Gert Ziener: Fakt ist, dass eine Realisierung der gewässertouristischen Verbindung des Harth-Kanals über die sogenannten §4-Mittel, die auf den Bund-Länder-Verwaltungsabkommen über die Finanzierung der Braunkohlesanierung basieren und die touristische Inwertsetzung der betroffenen Regionen adressieren, nicht mehr erfolgen wird. Deshalb muss nach anderen Finanzierungs- bzw. Fördermöglichkeiten gesucht werden. In erster Linie ist dabei an die Programme zu denken, mit denen der Strukturwandel im Rahmen des Kohleausstiegs bis 2038 in den Revieren finanziert werden soll. Über das sogenannte Investitionsgesetz Kohleregion (InvKG) könnte das Vorhaben z. B. als Landesprojekt des Freistaates gefördert werden.

WIRTSCHAFT ONLINE: Knirscht es „nur“ bei der Finanzierung oder gibt es weitere Kritikpunkte?

Wir als IHK zu Leipzig sowie all die Investoren und tourismuswirtschaftlichen Leistungsträger, die sich in den vergangenen Jahren an den Seen angesiedelt haben, beklagen, dass die behördlichen Prozesse rund um die Entwicklung des Leipziger Neuseenlandes mittlerweile viel zu langsam und restriktiv ablaufen. Es werden immer wieder neue Gutachten in Auftrag gegeben und wenn diese Gutachten dann fertig sind, werden die Prozesse nicht weiter vorangetrieben, mit der Folge, dass diese Gutachten dann zwischenzeitlich überholt sind und neue beauftragt werden müssen. Wir haben in den vergangenen Jahren leider einen Kulturwandel im negativen Sinne erlebt. Insbesondere der Bergbausanierer LMBV steht seit einiger Zeit offenkundig auf der Bremse. Vor 10-15 Jahren wurde die Entwicklung noch proaktiv begleitet und die Prozesse wurden positiv und zügig mitgestaltet. Mittlerweile fehlt von dort ein glaubwürdiges Commitment. Auf Zeit spielen, die Verantwortung permanent hin und her zu schieben und am Ende zu sagen, das Geld reiche nicht – dieses Gebaren steht dem Ziel, das Leipziger Neuseenland erfolgreich zu vollenden, jedenfalls diametral entgegen. 

WIRTSCHAFT ONLINE: Viele Menschen haben in Vertrauen auf die politischen Entscheidungen zu Beginn der Entstehung des Neuseenlandes investiert, wirtschaftliche Existenzen mit den Versprechungen und Entscheidungen verbunden. Aus welchen Branchen rekrutieren sich diese, die jetzt desillusioniert zurückgelassen werden?

Dr. Gert Ziener: Das sind z. B. Hoteliers, Gastronomen, Bootsbauer und -verleiher, Konzertveranstalter, Surf- und Tauchschulen, aber auch Schiffsreeder. Wenn wir vom Harth-Kanal hinüberschauen zur Verbindung zwischen Markkleeberger See und Störmthaler See, der dortigen Kanupark-Schleuse, ist ein Anbieter der Fahrgastschifffahrt direkt von den aktuellen Zuständen betroffen. Dieser Unternehmer unterhält drei Fahrgastschiffe, kann davon derzeit aber nur jeweils eines auf dem Markkleeberger See und dem Störmthaler See einsetzen.  Grund hierfür ist die Sperrung des Störmthaler Kanals und der Kanuparkschleuse durch die LMBV seit März 2021. Erst nach gut zwei Jahren liegt jetzt ein Gutachten über die Ursachen vor, die zur Sperrung des Kanals und zur Schließung der Schleuse geführt haben. Darin wurde festgestellt, dass nicht die regelmäßigen Passagen der Schleuse durch die Fahrgastschiffe für die Böschungsinstabilitäten ursächlich waren, sondern bauliche Mängel dazu geführt haben. Statt jetzt zügig mit der Behebung dieser Baumängel zu beginnen, wird die offizielle Veröffentlichung des Gutachtens hinausgezögert. Mit jedem weiteren Tag Kanalsperrung leidet die Wirtschaftlichkeit dieses Schifffahrtsbetriebs. Mangels Perspektive muss der Schiffseigner mittlerweile den Abzug aller drei Schiffe in Erwägung ziehen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und auch das Thema Umweltschutz steht der wirtschaftlichen Entwicklung im Neuseenland offenbar entgegen. Wäre da der Weg der Harmonisierung der Interessenlagen nicht zielführender?

Dr. Gert Ziener: Vorauszuschicken ist, dass es den Akteuren in der Region bisher ganz gut gelungen ist, ökologische und ökonomische Belange zielführend auszutarieren. Aber auch hier kommen wir seit einiger Zeit vermehrt in hinderliche Diskussionen. Wenn wir das Projekt „Leipziger Neuseenland“ erfolgreich vollenden wollen, geht es nicht nur darum, den Gewässerverbund zu realisieren, sondern auch weitere, zeitgemäße Nutzungsformen, wie z. B. das Kite-Surfen oder das Foilen zu ermöglichen. Die Feststellung der Fertigstellung der Seen und die Freigabe für den Schiffsverkehr bedeutet aber eben nicht – wie es so oft verkürzt kolportiert wird – dass nun tausende Motorboote den Cospudener See befahren werden. Die zuständigen Anrainer-Kommunen werden diesbezüglich vernünftig und weitsichtig agieren. Ein ebenso übertriebenes Szenario wird derzeit von Umweltverbänden bezüglich der Nutzungspläne für das Nordufer des Zwenkauer Sees heraufbeschworen. Dort soll auf Leipziger Gemarkung ein ausgewiesen nachhaltiges, nach ökologischen Aspekten betriebenes und deshalb von der Größe her auch überschaubares Feriendorf entstehen. Trotz dieser umweltverträglichen Nutzungskonzeption haben lokale Umweltverbände über die Presse angekündigt, die Bebauungsplanungen verhindern zu wollen und diese entsprechend zu beklagen. Wir sollten indes froh sein, dass solche Investitionsprojekte in Gang kommen, sehen wir doch gerade z. B. am Biedermeierstrand am Schladitzer See, wie innovative Nutzungskonzepte auch ökologisch verträglich umgesetzt werden können. Nördlich davon, am Werbeliner See, wurde hingegen von Anfang an klargemacht, dass dieser ungenutzt verbleibt und der Natur überlassen wird. Genau dieses vernünftige Maß bei der touristischen und freizeitwirtschaftlichen Nutzung der Seen ist der richtige Weg. Umweltschutz und ökonomische Aspekte müssen harmonisieren und gemeinsam gedacht werden. Gerade beim Konzept zum Nordstrand-Projekt am Zwenkauer See ist das gut gelungen. Im Übrigen bieten der See und sein direktes Umfeld von der Größe her noch genügend Flächen, wo sich Flora und Fauna ungestört entwickeln können.

WIRTSCHAFT ONLINE: Die touristische Nutzung unserer Gewässerlandschaft – harmonisierend mit Umweltschutzbelangen – ist ein konsequenter Hebel zur Entwicklung der ganzen Region. Wenn diese nur halbherzig verfolgt wird, kommen auch andere Entwicklungen ins Stocken. Was kann die IHK zu Leipzig hier tun? Wie wirkt die Kammer auf die Entscheider ein? Es gab ja auch Termine direkt vor Ort …

Dr. Gert Ziener: Ganz wichtig und entsprechend hervorzuheben ist hier die Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, deren Mitglied die IHK zu Leipzig ist. Die Steuerungsgruppe setzt sich aus Akteuren verschiedener Institutionen, übrigens auch Naturschutzverbänden, zusammen, die eines vereint: das Voranbringen von Projekten im Leipziger Neuseenland. Die Steuerungsgruppe unterhält derzeit zwei Arbeitsgruppen: die AG Gewässerverbund, die von der Stadt Leipzig geleitet wird, sowie die AG Standortpolitik, welche die IHK zu Leipzig organisiert. Dort erfolgt gewissermaßen das Monitoring des Entwicklungsprozesses im Leipziger Neuseenland. Wir schauen dabei vor Ort, welche Entwicklungen sich wie vollziehen und bringen in Erfahrung, wo es gut läuft und wo es warum hapert. Die AG ist dazu regelmäßig im Austausch mit den Investoren und Unternehmern vor Ort, die uns dann aus erster Hand mitteilen, wo wir noch ranmüssen und was sie von uns und von den behördlichen Entscheidungsträgern erwarten. Wir transportieren diese Belange dann in die Steuerungsgruppe. Diese werden dort sozusagen verarbeitet, d. h. in Handlungserfordernisse übersetzt, die dann konzertiert an Politik und Verwaltung herangetragen werden. Zudem bieten wir gemeinsam mit der IHK Halle-Dessau die Plattform „Runder Tisch mitteldeutsche Seenlandschaft“, wo wir Investoren und Bestandsunternehmen die Möglichkeit geben, direkt mit den Vertretern von Planungs- und Genehmigungsbehörden in Kontakt zu treten.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wo sehen Sie unseren Gewässerverbund im Jahr 2035?

Dr. Gert Ziener: Ich hoffe und gehe davon aus, dass die beiden Projekte, die fundamental für den Gewässerverbund im Leipziger Neuseenland sind, zügig realisiert werden. Insbesondere beim Störmthaler Kanal erwarte ich, dass die LMBV mit aller Konsequenz darangeht, die Ursachen für die Böschungsinstabilitäten schnellstens zu beseitigen, damit der Kanal und die Schleuse möglichst schon in der Sommersaison 2025 wieder befahrbar bzw. nutzbar sind und entsprechend für die Schifffahrt freigegeben werden. Was den Harth-Kanal angeht, erhoffe ich mir, dass im Ergebnis der Machbarkeitsstudie der wassertouristische Teil mit Mitteln für den Strukturwandel in den Kohleregionen realisiert wird und sich ein versierter Betreiber findet. Schön wäre es und gleichsam sehr optimistisch eingeschätzt ist es, wenn noch vor 2030 die ersten Paddler und Kanuten den Kanal passieren könnten. Fakt ist, die touristischen Leistungsträger an den Seen und im Umfeld brauchen dringend Planungssicherheit. Deshalb bedarf es eines glaubhaften Bekenntnisses der LMBV, der beteiligten Behörden und der Politik, diese strukturrelevanten Projekte zu realisieren und entsprechend zu finanzieren. Aus dem Sächsischen Tourismusministerium gibt es hierzu bereits positive Signale. Selbige Unterstützung erwarten wir auch seitens des Wirtschaftsministeriums, welches für die Bergbausanierung und den Verkehr zuständig ist. Teile dieses Bekenntnisses sind belastbare Finanzierungs- und Zeitpläne.

WIRTSCHAFT ONLINE:Danke, Herr Dr. Ziener, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland

Ihre Kontaktperson

Bei Fragen hilft Ihnen Dr. Gert Ziener gerne weiter.

T: +49 341 1267-1300
M: +49 151 12670014
F: +49 341 1267-1422
E: gert.ziener@leipzig.ihk.de

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