Pritzl MuellerSalo

Das Talent der Einzelnen ist unser größtes Potential.

29. März 2022

Gespräch mit Johannes Müller-Salo und Rupert Pritzl

Unternehmerisches Denken bedeutet strategisches Denken. Schließlich sollte in einer transformativen Welt nicht völlig dogmatisch an Althergebrachtem festgehalten werden, nur weil die Zeit fehlt, sich über Alternativen Gedanken zu machen. WIRTSCHAFT ONLINE möchte Unternehmen Denkanstöße aus Politik und Philosophie, Wirtschaftsplanung und Gesellschaft bieten, um ihnen strategische Richtungsentscheidungen zu ermöglichen.

Heute sprach WIRTSCHAFT ONLINE mit Johannes Müller-Salo, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover und mit Rupert Pritzl, tätig im Bayrischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landentwicklung und Energie und Lehrbeauftragten an der FOM Hochschule in München über Klimaschutz durch Innovation und Marktwirtschaft.

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Herr Johannes Müller-Salo. Guten Tag, Herr Rupert Pritzl. Ich freue mich, Sie interviewen zu dürfen. In der Beilage der Wochenzeitung DAS PARLAMENT „Aus Politik und Zeitgeschichte“ haben Sie gemeinsam den Beitrag „Klimaschutz durch Innovation und Marktwirtschaft“ veröffentlicht, in dem Sie sich für den „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ starkmachen. Was meinen Sie damit ganz konkret?

Rupert Pritzl: Sehr gerne! Wir sind der festen Überzeugung, dass wir die große gesellschaftliche Herausforderung Klimaneutralität nur durch Innovation und Technologie im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung erreichen können. Nur der „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ wird zu überlegeneren innovativen und preislich wettbewerbsfähigen Lösungen führen und nicht etwa politische Vorgaben oder klimadirigistische Regulierungen. Nur ökonomische Märkte erlauben einen offenen wettbewerblichen Such- und Auswahlprozess und belohnen die technisch und wirtschaftlich Erfolgreichen mit Gewinnen. Wo Politiker der Bevölkerung glauben machen wollen, die Ergebnisse dieser innovativen und dynamischen Entwicklungsprozesse von vornherein vorhersagen und vorwettbewerbliche Technologiefixierungen vornehmen zu können, maßen sich die Politiker ein Zukunftswissen an, über das sie nicht verfügen und ehrlicherweise gar nicht verfügen können. Um es klar zu formulieren: Nur der Wettbewerb garantiert uns, dass wir eine ökonomisch effiziente Klimapolitik praktizieren, die die geringstmöglichen gesellschaftlichen Kosten hervorruft.

WIRTSCHAFT ONLINE: Uns ist bewusst, dass die Transformation im Sinne der intragenerationellen Gerechtigkeit und zum Schutz der Ressourcen und der Umwelt folgerichtig und unabwendbar ist. In der Diskussion ist nur der Weg dorthin. Haben wir überhaupt noch Zeit zur Debatte? Wie ist Ihr ganz persönlicher Eindruck?

Johannes Müller-Salo: Die Wende hin zur klimaneutralen Gesellschaft wird ja gern mit der industriellen Revolution verglichen, was ihre Größe und Eingriffstiefe betrifft. Mir erscheint es undenkbar, dass ein solch gigantischer Umbau der Gesellschaft ohne umfassende politische Debatten überhaupt möglich, geschweige denn wünschenswert ist. Das Problem ist eher, dass wir zu lange über die Ziele gestritten haben und zu wenig über die Mittel zum Ziel, die Wege, wie Sie es treffend formulieren. Diese Debatten stehen größtenteils noch aus – die Zeit, sie zu führen, müssen wir uns jetzt einfach nehmen. Denn ohne derartige Debatten werden keine demokratischen Mehrheiten zustande kommen, die konkrete Klimaschutzmaßnahmen mittragen. Ohne lebhafte Diskussionen kann kein Konsens entstehen, wie wir ihn mit Blick auf die Grundlagen der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft benötigen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Im Spannungsfeld aus „Gerechtigkeit“ und „Effizienz“ legen Sie das Augenmerk auf die betroffenen Milieus, die im Regelfall in der Gesellschaft „… am schlechtesten Gestellten der Gegenwart“ und fordern klare, politisch „ohne neue Ungerechtigkeiten“ umsetzbare Klimaschutzziele. Sie schreiben: „Wo alles unhinterfragt dem Klimaschutz untergeordnet wird, wird der dringend nötigen öffentlichen Debatte über gegenwärtige Klimagerechtigkeit, das heißt Klimaschutzkostengerechtigkeit, aus dem Weg gegangen.“ Solch Klimaschutzkostengerechtigkeit ist dringend notwendig, um nicht noch das restliche Vertrauen in die Mechanismen der Demokratie zu verspielen. Sehen Sie den Willen zur Debatte überhaupt in der derzeitigen politischen Klasse?

Johannes Müller-Salo: Teilweise ja, teilweise nein. Ich habe den Eindruck, dass noch bis in den letzten Bundestagswahlkampf hinein einige Parteiführungen stillschweigend davon ausgegangen sind, dass Klima- und Umweltschutz das Spezialgebiet einer einzigen Partei ist. Das ist ein echtes Problem. Die Herausforderungen sind gewaltig, da ist der politische Ideenwettstreit dringend geboten. Nur muss dies eben ein Wettstreit um die besten Wege hin zum Ziel, nicht um das Ziel selbst sein. Ich wünsche mir eine lebhafte Debatte über die Frage, in welchen konkreten Maßnahmen sich grüne, liberale, konservative, linke und sozialdemokratische Wege hin zum Ziel der Klimaneutralität voneinander unterscheiden, wer über die beste Strategie für die Praxis verfügt.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie können sich Unternehmen, gerade auch aus dem hiesigen Kammerbezirk Leipzig, Landkreis Leipzig und Nordsachsen, strategisch besser aufstellen, um den Transformationsprozessen marktwirtschaftlich zu begegnen? Die Welt tickt ja nicht nur mit Fördergeldern, die als Steuern ja auch erst einmal verdient werden müssen.

Rupert Pritzl: Als erstes ist der Staat gefragt, um den geeigneten wettbewerblichen und ordnungspolitischen Rahmen für diese gesamtgesellschaftliche Transformation zu setzen. Es ist naheliegend, dass es hier in Richtung Kreislaufwirtschaft, Klimaschutz- und Nachhaltigkeitstechnologien sowie Digitalisierung gehen wird, womit die zentralen Zukunftsfelder ganz gut beschrieben sind. Diejenigen Unternehmen, die schon jetzt auf diese Zukunftsfelder setzen, werden sich Wettbewerbsvorteile erarbeiten und ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit steigern. Alle Unternehmen aus Ihrem Kammerbezirk sollte sich daher strategisch überlegen, wie sie sich bestmöglich im Bereich dieser digital getriebenen Nachhaltigkeitstechnologien engagieren können. Und die erfolgreichsten Unternehmen werden mit Gewinnen belohnt.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wieviel wirtschaftliche Freiheit ist überhaupt noch möglich?

Johannes Müller-Salo: Das hängt nicht zuletzt davon ab, was genau Sie unter Freiheit verstehen. Die Freiheit, Umwelt und Klima zu belasten und die daraus resultierenden Kosten bei der Gesellschaft abzuladen, wird zweifelsohne beschnitten werden müssen, und sei es nur indirekt, etwa durch hohe CO2-Preise im Emissionshandel. Doch zugleich bietet die Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft unglaubliche Chancen, zumal für ein Land der Kreativen, der Ingenieure und Technikerinnen. Dies, das Talent der Einzelnen, ist unser größtes Potential. Es wird sich nur dort entfalten, wo große wirtschaftliche Freiheit herrscht, wo Menschen ihre Ideen auch verfolgen und verwirklichen können. Deswegen bleibt auch eine nachhaltiger wirtschaftende Gesellschaft auf umfassende wirtschaftliche Freiheiten angewiesen. Die Arten und Weisen, Freiheit zu leben, mögen sich ändern. Der Grad an Freiheit kann davon unberührt bleiben.

WIRTSCHAFT ONLINE: Unter der Zwischenüberschrift „Internationale Zusammenarbeit“ plädieren Sie für Verhandlungen Deutschlands mit anderen „… relevanten Ländern …“, um eine gemeinsame Klimapolitik möglich zu machen. Nun ist jedoch derzeit nicht gerade, im Russland-Ukraine-Krieg zeigt sich dies wie unter einem Brennglas, die Zeit, in der Verträge wirklich eingehalten werden. Welche Möglichkeiten hat eine Staatengemeinschaft überhaupt noch, um international verlässliche ordnungspolitische Rahmen zu schaffen? Denn diese müsste ja flächendeckend eingeführt werden. Oder sehe ich das falsch?

Rupert Pritzl: Der internationale Aspekt verweist unmittelbar auf die grundlegende Problemstruktur des Klimaproblems: Der Schutz des Klimas ist ein internationales, nicht-ausschließbares Gemeinschaftsgut. Dies bedeutet, dass es für alle Länder vernünftig ist, sich eben nicht an den kostspieligen Klimaschutzaktivitäten zu beteiligen, wenn nicht auch (fast) alle anderen Länder sich angemessen daran beteiligen. Das Klimaproblem ist daher ein grundlegendes Koordinationsproblem der verschiedenen Länder, die unterschiedliche Interessen haben. Wirkungsvolle Klimapolitik ist somit fundamental Klimaaußenpolitik. Die deutsche Politik muss sich daher auf internationaler Ebene für ein funktionierendes Emissionshandelssystem einsetzen, das auf Wechselseitigkeit (Reziprozität) beruht und in einem ersten Schritt die wesentlichen Emissionsländer (z. B. die EU, USA, China, Russland und Indien) umfasst, damit die hierzulande erzielten Erfolge in der Emissionsreduktion nicht durch massiv steigende CO2-Emissionen in anderen Teilen der Welt zunichtegemacht werden. Nur so ist ein weltweit effektiver und effizienter Klimaschutz möglich. Und dass völkerrechtliche Verträge gebrochen werden, ist absolut nicht hinnehmbar.

WIRTSCHAFT ONLINE: Schlussendlich geht es auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende wie Ihr Beitrag ja auch betitelt ist, welcher dem APuZ-Beitrag zugrunde liegt. Der Urbeitrag heißt „Gerechtigkeit und Effizienz. Zentrale Aspekte der gesellschaftlichen Akzeptanz der Energiewende“ und erschien im Wirtschaftsdienst 12/2021. Diese Akzeptanz braucht es natürlich auch bei Wirtschaftstreibenden, bei den Unternehmen. Wie soll diese erreicht werden?

Rupert Pritzl: Die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende ist ein zentrales Kriterium, denn ohne eine gerechte und effiziente Verteilung der Klimaschutzkosten wird es schwer sein, demokratische Mehrheiten für die Jahrhundertaufgabe Klimaneutralität zu finden. Die gesellschaftliche Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft hat gerade erst begonnen, der größte Teil der Transformationskosten wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch auf uns zukommen. Mit den Kosten werden auch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Kostenverteilung zunehmen und damit zwangsläufig Fragen nach Gerechtigkeit und Effizienz aufwerfen. Mit gutem Grund hat der Bundesrechnungshof jüngst die durch die Ineffizienzen hervorgerufenen enormen Kosten der Energiewende deutlich als Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland und als Bedrohung für die gesellschaftliche Akzeptanz der Klimawende herausgestellt. Die politischen Parteien sollten die Diskussion eröffnen, aus der ein hinreichend großer gesellschaftlicher Konsens in Deutschland entstehen kann und muss, wie der Wandel gerecht und effizient zu gestalten ist.

WIRTSCHAFT ONLINE: Nun lebt Demokratie im Vier-Jahres-Rhythmus. Wie sollen Regelungen über politische Wechsel hinweg gesichert werden? Wer ist Ausführender, Kontrollierender, Sichernder?

Johannes Müller-Salo: Moderne Demokratien sind weitaus stärker als andere Staatsformen dazu in der Lage, Langzeitprojekte zum Wohle der gesamten Bevölkerung erfolgreich durchzuführen. Denken Sie nur an das Rentensystem. Das Rentensystem funktioniert nur, wenn Menschen sich darauf verlassen können, dass sie als Gegenleistung für ihre heutigen Beiträge in drei oder vier Jahrzehnten Rentenzahlungen erhalten. Demokratien bieten Rechtssicherheit, die vertrauensbildend wirken kann. Eine kritisch politische Prozesse begleitende Öffentlichkeit leistet ebenfalls ihren Beitrag. Klar ist aber auch: Dies Vertrauen muss immer wieder neu erarbeitet werden. Deswegen geht es darum, breite politische Mehrheiten für zentrale Klimaschutzmaßnahmen zu finden – Mehrheiten, die Regierungswechsel überdauern und so für Planbarkeit und Verlässlichkeit sorgen. Denn letztlich liegt die Verantwortung für Ausführung, Kontrolle und Sicherung bei uns allen gemeinsam.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke für Ihre Antworten. Und für Ihre Zeit.

P.S. Dr. Rupert Pritzl, Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie und Dozent an der FOM Hochschule München, gibt seine persönliche Meinung wieder.

Fotocredit: Johannes Müller-Salo: Universität Hannover | Dr. Rupert Pritzl: privat

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