Chef der Sächsischen Staatskanzlei Dr. Andreas Handschuh | © Ben Gierig / Sächsische Staatskanzlei
Chef der Staatskanzlei Dr. Andreas Handschuh

„Wir werden unsere Strukturen verändern müssen …“

23. September 2025

Aktuell gelten in Deutschland auf Bundesebene 1.797 Gesetze mit 52.401 Einzelnormen sowie 2.866 Rechtsverordnungen mit 44.475 Einzelnormen. Da stellt sich natürlich die Frage: Ist die Regulierungswut noch zurückdrehbar?

In Sachsen gibt es jetzt eine Koordinierungsstelle Bürokratieentlastung, organisatorisch angebunden bei der Sächsischen Staatskanzlei. Wir sprachen mit dem Chef der Staatskanzlei Dr. Andreas Handschuh über Wege, die das Land Sachsen beim Bürokratieabbau zu beschreiten vorhat. Dazu befragten wir ihn nach den Themenkomplex betreffenden Terminierungen und der Einsicht der Staatskanzlei, dass die Wachstumsbremsen für die Wirtschaft endlich gelöst werden müssen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Herr Dr. Handschuh. Die Sächsische Staatsregierung hat ein Maßnahmenpaket zur Bürokratieentlastung beschlossen. Auch die Organisationsstruktur des öffentlichen Dienstes soll auf Landesebene mit einer Untersuchung hinterfragt werden. Was geschieht aber dann mit den Ergebnissen dieser Untersuchung und bis wann geht diese?

Dr. Andreas Handschuh: Im Juni 2025 wurde eine umfassende Analyse der Aufgaben und Standards im öffentlichen Dienst des Freistaates Sachsen gestartet. Das Ziel besteht darin, Verwaltungsleistungen zu optimieren, Prozesse zu vereinfachen und diese verstärkt zu digitalisieren, damit sie effizient und mit weniger Personal bewältigt werden können. Die Ressorts sind aufgefordert, bis Oktober Strukturveränderungs- und Optimierungspotenziale zu identifizieren und zu benennen. Bis Ende des Jahres werden daraus konkrete Arbeitspakete geschnürt und dem Kabinett vorgelegt. Die Ergebnisse fließen in die Haushaltsaufstellung für die Jahre 2027/2028 ein. Klar ist: Für spürbare Effekte der Bürokratieentlastung müssen wir Prozesse beschleunigen und Verwaltungsleistungen verlässlich erbringen. Wir werden unsere Strukturen verändern müssen, um die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit des Freistaates zu sichern.

WIRTSCHAFT ONLINE: Ein Übermaß an Regelungen und Berichtspflichten bremst die wirtschaftliche Entwicklung, da sind wir uns einig. Wie können hier aber Entlastungen herbeigeführt werden? Meist beruhen die Regelungen ja auf deutscher oder europäischer Gesetzgebung. Wo kann Sachsen den Hebel ansetzen?

Dr. Andreas Handschuh: Sachsen setzt sich aktiv für die Staatsmodernisierung und Sozialstaatsreform auf Bundesebene ein. Wir haben aber auch selbst eine eigene Modernisierungsagenda. Hier gilt es, zügig Hemmnisse in den eigenen Planungs- und Genehmigungsprozessen zu beheben und die Spielräume entschlossen zu nutzen. Unser Ziel ist klar: mehr Freiräume für unternehmerisches Handeln, Bürokratie nur im erforderlichen Mindestmaß sowie schlanke, effiziente und digitale Verwaltungsstrukturen, bei Land, Bund und der EU. Nur so können wir die Wachstumsbremsen für die Wirtschaft lösen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Bis Ende des Jahres 2025 sollen alle Vorschriften im sächsischen Landesrecht auf verschärfende Extras gegenüber dem europäischen Recht überprüft werden. Und dann? Werden dann alle Extras zurückgedreht? Geht so etwas so einfach?

Dr. Andreas Handschuh: Das Gold-Plating ist vorbei. Die Initiative zur Überprüfung unserer landeseigenen Vorschriften ist ein klares Bekenntnis zu mehr Augenmaß in der Gesetzgebung. Wir haben beschlossen, landesspezifische Regelungen zu identifizieren, die über europäisches Recht hinausgehen. Wir schauen uns jede Regelung einzeln an und nehmen unnötige Belastungen zurück. Die Umsetzung neuer EU-Vorgaben erfolgt ab sofort nur noch mit dem gesetzlichen Mindestmaß, auf sächsische Sonderlösungen verzichten wir.

WIRTSCHAFT ONLINE: Im sächsischen Landesrecht gibt es derzeit über 3.800 sogenannte Schriftformerfordernisse, die nun ebenfalls überprüft werden. Dafür braucht es aber doch auch „Manpower“, wir hörten von einer extra einzurichtenden Entlastungsstelle. Wo ist diese denn angesiedelt und ist diese dann auch Kontaktstelle für Vorschläge von Wirtschaftstreibenden?

Dr. Andreas Handschuh: Die Überprüfung der über 3.800 Schriftformerfordernisse im sächsischen Landesrecht ist ein zentraler Baustein unseres Maßnahmenpakets zur Bürokratieentlastung. Dabei wird jede Regelung einzeln von den zuständigen Ressorts dahingehend geprüft, ob die Schriftform oder das persönliche Erscheinen noch zeitgemäß oder erforderlich sind. Der Prüfauftrag wird von den Kolleginnen und Kollegen im laufenden Geschäft bewältigt. Die Stabsstelle Bürokratieentlastung in der Staatskanzlei koordiniert die verschiedenen Maßnahmen zur Bürokratieentlastung. Sie steht zugleich im engen Austausch mit den anderen Länderkollegen und dem Bund und ist auch Ansprechpartner für Verbände und Kammern.

WIRTSCHAFT ONLINE: Geplant ist, bis 2027 die Zahl der Bewilligungsstellen zur Förderung von Projekten und Maßnahmen in Sachsen von 56! auf fünf zu reduzieren. Ein hehres Ziel. Dadurch werden ja auch im besten Falle Stellen in der Verwaltung reduziert. Auch eine hoffentlich funktionierende Digitalisierung sollte hier Prozesse vereinfachen und entschlacken. Was geschieht aber dann mit den bis dato mit diesen Prozessen beschäftigten Menschen? Und werden hier gar auch Gelder aus dem Haushalt eingespart?

Dr. Andreas Handschuh: Sachsen hat eine Förderlandschaft, die aktuell von einer Vielzahl an staatlichen Behörden und kommunalen Gebietskörperschaften verwaltet wird. Um die Ausreichung von Fördermitteln für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen zu vereinfachen und zu verbessern, müssen wir den Fördervollzug deutlich konzentrieren. Dieser Prozess wurde nun angestoßen. An den konkreten Vorschlägen, welche Förderrichtlinie künftig durch welche Bewilligungsstelle vollzogen werden soll, arbeiten wir derzeit. Mit Blick auf die demografische Entwicklung, die zunehmenden Herausforderungen bei der Personalrekrutierung und das Beschäftigungsniveau in der Wirtschaft müssen wir auch den öffentlichen Dienst an die Anzahl der Erwerbsfähigen anpassen. Hierzu haben wir eine umfassende Aufgaben- und Strukturkritik vorgenommen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Sie sagten, dass bei der Bürokratieentlastung der Fokus stärker als bisher auf Praxistauglichkeit ausgerichtet werden soll. Dafür braucht es aber Expertise aus der Praxis. Wie gedenken Sie diese einzubinden? Ganz praktisch …

Dr. Andreas Handschuh: Wenn wir den Administrationsaufwand reduzieren wollen, müssen wir dorthin schauen, wo er konkret spürbar ist – in den Unternehmen, bei den Selbstständigen und in den Verwaltungen vor Ort. Dabei geht es uns nicht nur um den Aufwand in der Verwaltung selbst, sondern auch gerade bei den Unternehmen. Praxischecks in der Wirtschaft sind nicht neu, wurden allerdings bislang nur bei bestehenden Gesetzen angewandt, also dann, wenn bürokratische Mehrbelastungen bereits entstanden sind. Im Freistaat Sachsen wollen wir die Anwendungsebene verstärkt frühzeitig und systematisch einbinden und damit die Praxistauglichkeit in den Vordergrund stellen. Bei besonders bedeutsamen Gesetzesvorhaben treten die Ressorts mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Verbänden und Kommunen deshalb bereits in der Entwurfsphase in den Austausch. Das Ziel ist es, die Vorschrift am eigentlichen Regelungsziel auszurichten und praxisfreundlich anhand unkomplizierter Verfahrensschritte bestmöglich zu gestalten.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie sollen dann die Erkenntnisse aus dem hoffentlich erfolgreichen Bürokratie-Entlastungs-Prozess in den bundesdeutschen und europäischen Transformationsprozess eingespielt werden?

Dr. Andreas Handschuh: Der Freistaat Sachsen ist dafür bekannt, auch mal unkonventionell zu denken. Wir sehen uns als ostdeutschen Impulsgeber. Uns hilft hierbei der Umstand, dass wir gegenwärtig durch den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz auch in die Initiativen des Bundes zur umfassenden Staatsmodernisierung aktiv eingebunden sind und damit unsere Forderungen einbringen können.

WIRTSCHAFT ONLINE: Die dramatische Lage der regionalen Wirtschaft ist durch diverse Analysen und Studien nachgewiesen, dazu kommt die derzeitige weltwirtschaftliche Situation. Wie kann die sächsische Politik hier nachsteuern? Welche Sicht hat hier die Staatskanzlei?

Dr. Andreas Handschuh: Das Potenzialwachstum Deutschlands in der Wirtschaftsleistung ist seit 2021 äußerst bescheiden. Hier müssen wir uns die Frage stellen, was die größten Wachstumshemmnisse sind und wo die Politik dringend ansetzen muss, um das Potenzial zu erhöhen. Die Staatsmodernisierung und Digitale Transformation müssen Vorrang haben vor neuen Aufgaben. Unsicherheiten für die Wirtschaft gerade im Bereich Energie und Investitionen müssen reduziert werden, der Steuerstandort muss wieder im internationalen Vergleich kompetitiv werden. Wir brauchen dringend eine Sozialstaatsreform. Der Faktor Arbeit bremst die Entwicklung. Der Freistaat hat diese Themen bei den Koalitionsverhandlungen des Bundes adressiert und setzt sich nunmehr für eine zügige Umsetzung ein.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Herr Dr. Handschuh, für Ihre Zeit und Ihre Antworten – auf dass Ihr Wirken der regionalen Wirtschaft hilft, wieder ins aktivierende Wachstum zu kommen.

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