
„Wir brauchen die Unternehmen als Partner für unsere Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz“
21. August 2025Die Kritische Infrastruktur der Bundesrepublik gerät durch die multiplen Krisen immer mehr unter Druck. Gut, dass es da die vielen Ehrenamtlichen des Technischen Hilfswerks gibt.
Wir sprachen mit der THW-Landesbeauftragten für Sachsen und Thüringen, Janine Stock, über die Herausforderungen, die Möglichkeiten der Unternehmen, sich auf Krisen vorzubereiten, und Unterstützungsoptionen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Frau Stock. Sie sind seit Mai 2024 die Landesbeauftragte des Landesverbandes Sachsen, Thüringen des Technischen Hilfswerks (THW). Ihr Landesverband bündelt 34 Ortsverbände in den beiden Bundesländern. Diese sind rund um die Uhr einsatzbereit. Bei welchen Krisen kommen sie zum Einsatz?
Janine Stock: Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) ist die Zivil- und Katastrophenschutzbehörde des Bundes. Seit 75 Jahren leistet das THW technische Hilfe im In- und Ausland. Unsere Ehrenamtlichen kommen bei Katastrophen und Unglücksfällen zum Einsatz, so wie zum Beispiel jüngst beim Waldbrand in der Gohrischheide. Hier haben unsere Einsatzkräfte zwei Wochen lang mit typischen THW-Aufgaben, wie zum Beispiel Wasserlogistik und Verpflegung, die Feuerwehr bei den Löscharbeiten ergänzt und unterstützt. Viele können sich bestimmt noch an das Weihnachtshochwasser 2023/24 erinnern, als das Sturmtief „Zoltan“ auch in Sachsen massive Überschwemmungen verursacht hat. Auch der Einsturz der Carola-Brücke in Dresden war ein typischer THW-Einsatz, bei dem wir viele unserer Kompetenzen unter Beweis stellen konnten. Einsätze zur Bekämpfung der Schweinepest oder Borkenkäfer und technische Unterstützung bei der Corona-Pandemie oder bei der Flüchtlingshilfe gehören genauso zu unserem Portfolio wie Einsätze im Rahmen der täglichen Gefahrenabwehr in Zusammenarbeit mit der Polizei und der Feuerwehr.

WIRTSCHAFT ONLINE: Die Transformation – nicht nur im Wirtschaftsleben – ist derzeit gekennzeichnet von multiplen Krisen, die auch unsere Bundesländer immer wieder heimsuchen. Hier sind nicht nur sich verschärfende Wetterunbilden wie Stürme, Überschwemmungen oder Dürren gemeint, sondern auch Angriffe auf KRITIS-Strukturen. Wie hat sich hier Ihr Einsatzaufkommen in den letzten Jahrzehnten verändert?
Janine Stock: Das Technische Hilfswerk gibt es seit 75 Jahren, unser Landesverband feiert nächstes Jahr sein 30-jähriges Bestehen. In unserem Landesverband haben wir uns inzwischen ein festes Standing bei unseren Partnern in der Gefahrenabwehr erarbeitet. Dabei hat sich das Einsatzaufkommen in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert – sowohl quantitativ als auch qualitativ. Dabei lässt sich ein klarer Trend zu mehr Einsätzen, komplexeren Lagen und internationaler Verantwortung feststellen. Und: Wir kehren an unseren Ursprung zurück. Das Technische Hilfswerk ist nach dem Zweiten Weltkrieg als Zivilschutzorganisation gegründet worden, das hat uns viele Jahrzehnte beschäftigt und die Einsätze waren eher lokal. Ab den 2000er-Jahren hat die Zahl der Wetterextreme stark zugenommen und damit auch unsere Einsatzfrequenz – im In- und Ausland. Ich erinnere hier als Beispiel an den Tsunami in Südostasien im Jahr 2004 oder die mehrfachen Hochwasserlagen an der Elbe, wie etwa 2002 und 2013. Und heute? Da sind wir wieder bei unserer Ursprungsaufgabe angekommen, beim Zivilschutz, der u. a. die Kritischen Infrastrukturen massiv in den Fokus setzt. Digitaler Angriff auf die Energieversorgung ist leider kein Fremdwort mehr.
Heute verzeichnen wir Rekordwerte im Einsatzaufkommen. Konkret bedeutet das, dass unsere Ehrenamtlichen pro Jahr bis weit über 1.000 Einsätze leisten.
WIRTSCHAFT ONLINE: In der THW-Broschüre zum 75. Jubiläum des THW las ich den Satz „Es gilt, unsere fragile Lebensgrundlage zu schützen.“ Wie fragil ist denn unsere Lebensgrundlage eigentlich wirklich? Wo sehen Sie die gefährdetsten Momente?
Janine Stock: Unsere moderne Welt ist zum einen sehr robust, gleichzeitig auch anfällig. Robust, weil wir viele Sicherheitsmechanismen, Redundanzen und moderne Technologien haben, auf die wir so lange vertrauen können, wie alles klappt. Anfällig deshalb, weil wir zunehmend auf dieses komplexe, eng vernetzte System vertrauen, das bei Störungen schnell dominoartig zusammenbrechen kann. Dies ist besonders auffällig im Bereich der Kritischen Infrastrukturen, besonders von Strom. Ohne Strom keine Wärme, kein Licht, kein Trinkwasser. Wir sind inzwischen abhängig von der Digitalisierung, vom Funktionieren diverser Datenübertragungsnetze. Diese sind durchaus stör- und sabotage-anfällig. Hinzu kommt, dass immer weniger Menschen für den Schadens- und auch Zivilschutzfall aufgestellt sind. Wir hatten uns in Deutschland an die lange Periode des Friedens gewöhnt, Krieg und die damit verbundenen Bedrohungen werden nicht mehr als realistische Gefahr wahrgenommen. Die Bürger und Bürgerinnen verlassen sich heutzutage mehrheitlich darauf, dass der Staat im Notfall alles regeln wird – sei es bei Naturkatastrophen oder im Fall eines Krieges. Sie haben Vertrauen in uns und unsere Partner. Das ist grundsätzlich gut, mindert aber die persönliche Vorsorge und Resilienz. Auch sind unsere früheren, nicht digitalen Fähigkeiten in den Hintergrund getreten. Viele Menschen haben kein praktisches Wissen mehr, wie man sich ohne GPS fortbewegt, wie man ohne Strom kochen oder Hilfe ohne Handy erhalten kann.
WIRTSCHAFT ONLINE: Wie können Unternehmen hier vorsorgen?
Janine Stock: Die Verantwortung der Unternehmen ist meiner Meinung nach nicht zu unterschätzen. Aus THW-Sicht muss ich klar sagen: Wir brauchen die Unternehmen als Partner für unsere Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz. Hier geht es um ein Grundverständnis für unsere gesellschaftliche Verantwortung, sodass unsere Ehrenamtlichen im Einsatzfall ihren Auftrag abarbeiten können. Unterstützung des Ehrenamtes, Freistellung für Einsätze und Ausbildung sowie auch finanzielle Unterstützung unserer Landesvereinigung bzw. der örtlichen Helfervereinigungen gehören dazu. Denn: Unsere Ehrenamtlichen bringen wertvolles Know-how in die Firmen – das ist nicht zu unterschätzen!
Weiterhin benötigen wir Unternehmen für adäquate, praxisnahe Ausbildung. Hier haben wir im Landesverband Sachsen, Thüringen im Bereich der Kritischen Infrastrukturen schon gute Wege eingeschlagen. Über Kooperationsvereinbarungen mit Energieversorgern stellen wir einen regelmäßigen Fachaustausch, gemeinsame Ausbildungen und Übungen sicher. Das Netzwerk hilft beiden Seiten, für Krisen besser gerüstet zu sein.
Unternehmen müssen jedoch auch aus Eigeninteresse Verantwortung für die eigene Funktionsfähigkeit übernehmen. Was von Bürgern und Bürgerinnen für die Zukunftssicherung erwartet wird, trifft auch auf Unternehmen zu. Die eigene Infrastrukturresilienz muss gesteigert werden, um im Fall der Fälle eine gewisse Zeit autark zu sein. Zum Beispiel kann eine eigene Notstrom- und Wärmeversorgung aufgebaut werden, redundante Systeme können eingeführt und Notfallpläne erstellt werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen geschult und vorbereitet werden, ein Kommunikations-Backup wie z. B. Satellitentelefone sollten vorhanden sein.

WIRTSCHAFT ONLINE: Medial sorgte der Waldbrand in der Gohrischheide im Juli 2025 überregional für Furore. Für Ihren Landesverband war dies jedoch zuvorderst Arbeit. Was hat das THW für Aufgaben in diesem Fall übernommen?
Janine Stock: In der Gohrischheide im Landkreis Meißen hatte das Feuer eine Ausdehnung von über 2.000 Hektar erreicht. Aufgrund austretender Munition und extremer Hitze war dies eine der größten Waldbrandlagen in Sachsen seit Jahrzehnten. Unser Einsatz dauerte rund zwei Wochen. Mit typischen THW-Aufgaben haben wir die Feuerwehr bei den Löscharbeiten ergänzt und unterstützt. Wir hatten 51 Ortsverbände aus Sachsen und Thüringen, aber auch aus anderen THW-Landesverbänden im Einsatz – insgesamt knapp 2.000 ehrenamtliche THWler über die Gesamtdauer des Einsatzes. So konnten wir die Anforderungen der Einsatzleitung und des Landkreises erfolgreich abarbeiten. Wir haben einen Bereitstellungsraum für bis zu 1.000 Einsatzkräfte aufgebaut und betrieben. Hier wurden z. B. alle Kräfte rund um die Uhr mit warmen und kalten Mahlzeiten und Getränken versorgt. Auch eine Materialerhaltung haben wir aufgebaut, d. h. eine kleine Werkstatt für Reparaturen. Wasserlogistik stand ebenfalls im Fokus, wir haben Wasser mit Lkw und einer 2,5 Kilometer langen Schlauchstrecke inkl. Pumpen an die Löschorte gebracht. Wieder einmal konnten wir eine große Vielzahl unserer Einsatzoptionen einbringen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Ihre Einheiten sind auch überregional im Einsatz. Wo waren die ehrenamtlichen Einsatzkräfte denn schon helfend aktiv?
Janine Stock: Unsere ehrenamtlichen Einsatzkräfte aus Sachsen und Thüringen waren bereits mehrfach außerhalb unseres Landesverbandes eingesetzt, wie zum Beispiel nach den Sturmtiefs „Zoltan“ und „Katinka“ (2023 und 2024) oder auch im Ahrtaleinsatz im Jahr 2021. Wir haben hier u. a. Aufgaben im Bereich Pumpen, Sandsackverbau, Elektroversorgung und Logistik übernommen. Und auch bei THW-Einsätzen im Ausland bringen wir uns immer wieder ein.
Dass wir im gesamten Bundesgebiet eingesetzt werden können, hat seine Ursachen in unserer Organisationsform als Bundesbehörde und in taktischen Einsatzmodellen. Alle unsere THW-Einheiten sind bundesweit einsetzbar, unabhängig vom Standort und Landkreis- bzw. Ländergrenzen. Wir haben THW-intern eine eigene Einsatzstruktur, die es uns ermöglicht, bundesweit passgenau auf die Einheiten zurückzugreifen, die im Schadensgebiet benötigt werden. Das ist eine wichtige taktische Komponente beispielsweise bei Kräftetausch oder knappen Ressourcen. Dabei spielt auch unser THW-Baukasten eine große Rolle. Das ist ein modulares System unserer Einsatzfähigkeiten, die bundesweit gleich sind bei Personal, Aufgaben, Ausstattung. Diese Einheiten können ortsübergreifend kombiniert werden und reibungslos zusammenarbeiten. Das heißt: Alle unsere Ehrenamtlichen können - egal wo - problemlos miteinander in den Einsatz gehen und die gestellten Aufgaben abarbeiten.
WIRTSCHAFT ONLINE: Zurück zu Vorsorgemaßnahmen von Unternehmen. Viele KMU haben in der Regel kaum bindbare Fachkräfte, um sich dem Themengebiet Vorsorge zu widmen. Gibt es Beratungsangebote Ihrerseits? Wenn ja, welche? Wie kommen Unternehmen an Informationen heran?
Janine Stock: Ich möchte hier betonen, dass eine Aufstellung für Gefahrenmomente in entsprechendem Umfang für alle Unternehmen Sinn macht. Je nach individuellem Bedarf und Störfallpotenzial besteht die Möglichkeit, mit Fachbehörden und Organisationen im Bevölkerungsschutz, wie etwa dem THW, vorbereitend zusammenzuarbeiten und sich auf eventuelle Schadensereignisse vorzubereiten. Das THW hat z. B. Kooperationsvereinbarungen u. a. mit Energieversorgern abgeschlossen. Hier sind die Inhalte gegenseitige Ausbildung, Gewinnung von Fachkräften, Transportleistung und allgemeine technische Unterstützung. Das ist für beide Seiten sehr hilfreich, wie bereits angesprochen. Bei Interesse können wir hierzu gerne Unternehmen informieren und abklären, ob eine Zusammenarbeit mit uns sinnvoll ist.
Zum Thema Eigenvorsorge verweise ich aber auch an das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), unsere Partnerbehörde im Zivil- und Katastrophenschutz. Das BBK stellt umfangreiche Leitfäden, Checklisten und Handlungsempfehlungen bereit, z. B. für betriebliche Notfallvorsorge, Blackout-/Stromausfallvorsorge, Pandemieplanung, Brandschutz und Evakuierung oder Cyber-Resilienz. Diese Publikationen sind im Normalfall kostenlos und online verfügbar unter www.bbk.bund.de
WIRTSCHAFT ONLINE: Und können sich Unternehmen auch bei Ihnen engagieren? Welche Möglichkeiten gibt es hierfür?
Janine Stock: Neben den bereits angesprochenen Kooperationsmöglichkeiten mit uns als Behörde gibt es die Möglichkeit, unsere Landesvereinigung Sachsen, Thüringen e. V. zu unterstützen. Als Bindeglied zwischen Politik, Gesellschaft und den THW-Ortsverbänden trägt sie entscheidend dazu bei, dass die ehrenamtliche Arbeit vor Ort noch erfolgreicher und zukunftssicherer geleistet werden kann. Denn die THW-Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz und in der Jugendarbeit sind vielfältig und herausfordernd und brauchen Unterstützung. Konkret können sich Unternehmen – neben dem bereits geschilderten Verständnis und der Unterstützung für das Ehrenamt – auch durch eine Fördermitgliedschaft oder Geldspende einbringen. Unser Festakt am 29. August in Leipzig, an dem wir 30 Jahre Landesvereinigung und 75 Jahre THW feiern und allen unseren Ehrenamtlichen, Arbeitgebern und Förderern danken wollen, wird zum großen Teil von diesem Verein finanziert und durchgeführt.
WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Frau Stock, für Ihre Zeit, Ihre Antworten und Ihr Engagement.
Kontakt: info.lvsnthnoSpam@thw.de
Bei Fragen hilft Ihnen die Redaktion der WIRTSCHAFT ONLINE gerne weiter.