Wenn die Wirtschaft krankt, kann es kein gesundes Gemeinwesen geben.
18. Oktober 2023In einer demokratischen Gesellschaft müssen die ökologischen mit den ökonomischen Bedarfen harmonisieren, sonst zerbricht das System an seinen Gegensätzen. Oder einfacher gesagt: Wenn die Wirtschaft krankt, kann es kein gesundes Gemeinwesen geben. Elke Franz von der Stadtreinigung Leipzig hat mit ihren Projekten die Kreislaufwirtschaft im Blick. Für einige Probleme hat sie schon eine Lösung gefunden und die Potenziale sind ganz bestimmt noch lange nicht ausgereizt. WIRTSCHAFT ONLINE sprach mit ihr:
WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Frau Franz. Sie sind Betriebsleiterin der Stadtreinigung Leipzig und somit auch Trägerin des Projekts „Mein Leipzig schon‘ ich mir“. Hier geht es zuvorderst um Müll- und Abfallvermeidung sowie Ressourcenschonung. Der Kampagnentitel „Zero Waste“ ist da leider etwas irreführend, da wir ja nicht bei „Null Verschwendung“ landen werden. Zielmarke ist eine andere. Können Sie uns das Ziel des Leipziger Projekts bitte erläutern?
Elke Franz: Doch. Genau darum geht es: „Null Verschwendung“! Viele übersetzen „Zero Waste“ mit „Null Abfall“. Es geht jedoch gar nicht darum, gar keinen Abfall mehr zu erzeugen, sondern Ressourcenverschwendung zu vermeiden. Der beste Abfall ist der, der gar nicht erst entsteht. Also ist unser Thema viel mehr die Abfallvermeidung, schließlich wird es immer Abfälle geben, denn jeder lebende Organismus produziert Stoffwechselprodukte – genauso wie eine Stadt wie Leipzig. Wichtig ist, dass diese Stoffwechselprodukte – in unserem Fall also Abfall – nicht verschwendet werden. Das kann vor allem über eine gute Abfalltrennung erreicht werden, denn nur so können die im Abfall enthaltenen Rohstoffe durch Recycling zurückgewonnen werden und weiter im Stoffkreislauf bleiben.
Das Ziel des Leipziger Projekts „Mein Leipzig schon‘ ich mir“ ist ganz konkret: 10 Prozent weniger Pro-Kopf-Siedlungsabfall bis 2030 (im Vergleich zu 2020), 10 Prozent weniger Pro-Kopf-Restabfall bis 2030 (im Vergleich zu 2020), ein langfristig hohes Niveau der Abfalltrennung und die Unterstützung der Gewerbeunternehmen bei der Abfallvermeidung. Dabei soll konkret die Kreislaufwirtschaft gefördert werden – eine Wirtschaftsform, bei der die Ressourcen, die bereits im Produktkreislauf sind, im Produktkreislauf bleiben.
WIRTSCHAFT ONLINE: Sie sprachen gerade die Förderung der Kreislaufwirtschaft an, die als ein Ausweg aus der Wachstumsfalle angesehen werden kann. Wie kann diese konkret in der regionalen Wirtschaft umgesetzt werden?
Elke Franz: Die Kreislaufwirtschaft kann an allen Stationen des Produktkreislaufes ansetzen. Es beginnt mit dem Design eines Produktes und dabei beispielsweise bei der Frage, ob das Produkt reparierfähig ist, sollte es mal kaputtgehen. Bei der Produktion kann beispielsweise darauf geachtet werden, recycelte Materialien, statt sogenannte Primärressourcen zu nutzen und bei der Produktion möglichst wenige Schadstoffe und Abfälle zu produzieren. Aber auch später im Produktkreislauf kann angesetzt werden. Die regionale Wirtschaft kann etwa ihre Hardware reparieren, wenn sie nicht mehr funktioniert, anstatt sie zu entsorgen und neue zu kaufen. Das schont auch den Geldbeutel. Und last but not least können (und müssen, laut Gewerbeabfallverordnung) Gewerbebetriebe ihre Abfälle trennen, die sie nicht durch Maßnahmen, wie gerade genannt, vermeiden können. So können die in den Abfällen enthaltenen Ressourcen bestmöglich recycelt werden.
Generell wichtig ist auch die Vernetzung untereinander. Denn was für den einen Betrieb Abfall ist, ist für den anderen womöglich eine wertvolle Ressource.
WIRTSCHAFT ONLINE: Gibt es positive Beispiele? Und was bringt der Kreislaufwirtschaft-Ansatz hiesigen Unternehmen?
Elke Franz: Positive Beispiele zähle ich gerne auf: Auf der ganzen Welt und insbesondere in Europa gibt es zahlreiche Best-Practice-Beispiele. Viele Unternehmen haben sich bereits auf den Weg in die Kreislaufwirtschaft begeben.
Beispielsweise in Leipzig: einige Kleidungsgeschäfte bieten neben ihrer Neuware auch Second-Hand-Ware an, Gastronomie-Unternehmen, die bereits vor der am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Mehrwegangebotspflicht wiederverwendbare Verpackungen für To-Go-Speisen und -Getränke angeboten haben. Hier sind wir mit unserem Projekt „Allerlei to go – Leipzig genießt nachhaltig“ mittendrin. Daneben gibt es mittlerweile viele „Mieten statt Kaufen“-Modelle. Der Trend geht weg vom simplen Verkaufen von Produkten, hin zu sogenannten Produktdienstleistungssystemen. Der Kunde zahlt nicht für das Produkt, sondern für seine Leistung. Wenn das Produkt irgendwann nicht mehr funktioniert, dann kümmert sich der Produktanbieter. Das führt dazu, dass dieser Anreize hat, langlebigere Produkte herzustellen. Ausgesonderte Hardware wird Initiativen übergeben, die die Hardware reparieren/instand setzen und zur Wiederverwendung anbieten. Aktuell sind wir mit vielen großen Leipziger Unternehmen im Gespräch und merken: Es wird schon viel getan, aber es ist auch noch Luft nach oben.
Gründe für Unternehmen für den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft sind ganz unterschiedlich: Kosteneinsparungen, das gute Gewissen, die Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht, diverse Krisen, die uns die Abhängigkeit von Ressourcen spüren lassen (Ressourcenschutz = weniger abhängig von Ressourcen aus dem Ausland); und nicht zu vergessen: Die immer mehr im Sinne der Nachhaltigkeit lebende Zielgruppe wächst.
WIRTSCHAFT ONLINE: Durch die Kreislaufwirtschaft und bewusstes Umsteuern beim Konsum und Verbrauch wird gerade auch die Sekundärrohstoffwirtschaft mehr in den Fokus geraten. Hat die hiesige Sekundärrohstoffwirtschaft überhaupt genügend Kapazitäten? Was muss getan werden, um hier den eventuellen Ran aufzunehmen?
Elke Franz: Es wird schon gut recycelt und ein großer Teil der hier benötigten Rohstoffe könnte durch regionale Sekundärrohstoffe abgedeckt werden.
Was muss getan werden? Folgende Aspekte sind hier wichtig: die realen, regionalen Stoffströme müssen untersucht und branchenübergreifend gestaltet werden; hier gibt es noch viel Potenzial, weil aktuell oftmals „sein eigenes Süppchen gekocht wird“. Das dabei entstandene Wissen muss wiederum in die Branchen einfließen und die Vernetzung zwischen den Wirtschaftsakteuren gestärkt werden. Allerdings ist Recycling auch nicht alles! Beim Recycling verlieren die Rohstoffe oft an Qualität. Hier kann als Beispiel Aluminium aufgeführt werden. In Deutschland haben wir eine 90-prozentige Recyclingrate von Aluminium. Klingt erstmal gut. Allerdings wird Aluminium meist nur mit hohen Qualitätsverlusten recycelt, was unter anderem an dem Aluminium beigemischten Fremdmaterialien liegt. So kann das Aluminium, das vorher beispielsweise in einer Getränkedose steckte, nicht mehr als Getränkedose genutzt werden, sondern nur noch in der Stahlindustrie. Deshalb wäre es besser, wie es die Abfallhierarchie im Kreislaufwirtschaftsgesetz beschreibt: Prioritär Abfallvermeidung und Wiederverwendung und wenn das nicht geht: Abfalltrennung und Recycling.
Gerade mit Blick auf den Konsum sollte sich jeder Mensch zu Beginn einer Kaufentscheidung folgende Fragen stellen: Brauche ich den „Gegenstand“ wirklich? Kann ein bereits vorhandener Gegenstand repariert werden? Kann ich den Gegenstand ausleihen oder ihn gebraucht erwerben?
Diese Gedanken sollten sich bei uns allen, sowohl privat als auch auf Arbeit verfestigen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Bei der Neuinwertsetzung von „Abfall“ gibt es gute Zahlen in Leipzig. Ich hörte, beim Papier wäre hier schon viel getan, nur bei den anderen Tonnen (Biotonne, Gelbe Tonne etc.) sieht es noch nicht so gut aus. Welche Zahlen haben wir? Und was kann getan werden, damit es hier besser wird?
Elke Franz: Recycling ist direkt abhängig von Abfalltrennung. Wenn der saubere Abfall ordnungsgemäß und ohne Fehlwürfe in den unterschiedlichen Tonnen entsorgt wird, kann er zum Großteil recycelt werden. Die Stadtreinigung informiert umfänglich zur richtigen Abfalltrennung, beispielsweise auf unserer Seite stadtreinigung-leipzig.de
Die Abfälle, die nicht einer der Wertstofftonnen (vor allem Blaue Tonne, Gelbe Tonne, Biotonne) zuzuordnen sind, landen in den meisten Fällen im Restabfall. Im Restabfall sind noch zu viele Wertstoffe: zum Beispiel fast ein Drittel (31,7 Prozent) organischer Abfall, der zum Großteil eigentlich in die Biotonne gehört, wo er in der Kompost- und Energieanlage (KEA) zu Strom und Kompost verarbeitet werden könnte.
Trotzdem nutzen die Leipzigerinnen und Leipziger auch schon die Wertstofftonnen gut. Hier habe ich Daten aus der Bioabfallanalyse 2019/2020: 2,9 Prozent Fremdstoffe im Bioabfall für ganz Leipzig, obwohl es deutliche Unterschiede zwischen den Wohngebieten gibt. Der Bioabfall wird nach Entfernung der Fremdstoffe in der Kompost- und Energieanlage Cröbern zu 100 Prozent verarbeitet (erst Energiegewinnung mit Biogasanlage und dann Kompostierung). Die Recyclingquote bei der Gelben Tonne PLUS liegt bei 55,9 Prozent.
WIRTSCHAFT ONLINE: Für Unternehmen wird es gerade wieder mit der Gewerbeabfallverordnung* interessant. Was müssen Unternehmen hier beachten? Es soll, so hörte ich, jetzt wieder vermehrt kontrolliert werden …
Elke Franz: Die Gewerbeabfallverordnung hat zum Ziel, das Recycling von Gewerbeabfällen zu stärken. Dabei geht es insbesondere um die Getrenntsammlung von Abfällen. In Deutschland entstehen ungefähr 6 Millionen Tonnen gewerbliche Siedlungsabfälle pro Jahr. Davon werden nur 7 Prozent recycelt (Vergleich: 67 Prozent Recycling in privaten Haushalten in Deutschland). Hier gibt es ein enormes Verbesserungspotenzial!
Für die Kontrollen der Einhaltung der Gewerbeabfallverordnung sind die Unteren Abfallbehörden zuständig, also in Leipzigs Fall das Amt für Umweltschutz.
Die Gewerbeabfallverordnung im Originaltext
Kontakt zum Amt für Umweltschutz der Stadt Leipzig
WIRTSCHAFT ONLINE: Um die Idee der Kreislaufwirtschaft umzusetzen, müssen die Sekundärrohstoffe preiswerter werden als die Primärrohstoffe. Woran liegt es denn eigentlich, dass nicht an dem ist und was wird, Ihrer Meinung nach, in näherer Zukunft geschehen. Die EU hat mit dem Green Deal schließlich eine Richtung vorgegeben …
Elke Franz: Das stimmt. Der Handel steht für die riesige Lücke zwischen den theoretischen Möglichkeiten und der praktischen Umsetzung: theoretische Potenziale gibt es zur Genüge und diese werden auch immer mehr. Dafür sorgt die Forschung. Aber die Potenziale werden in der Praxis kaum umgesetzt. Viele Unternehmen greifen lieber zu Primärrohstoffen; der Anteil recycelter Rohstoffe liegt in der deutschen Industrie bei ungefähr 13 Prozent, in den Niederlanden beispielsweise bei über 30 Prozent.
Woran liegt das? Es sind noch zu wenig Sekundärrohstoffe verfügbar und diese sind zu teuer. Aktuell ist der Prozess noch zu aufwendig, weil es keine flächendeckenden Lösungen gibt. Recycling kostet aktuell extrem viel Energie und ist dadurch teurer. Und schlussendlich sind da noch die alten Gewohnheiten.
Hier bietet die Europäische Union Lösungen an. So steht beim Green Deal der EU-Kommission das Konzept der Kreislaufwirtschaft im Fokus. Generell steigt der Regulierungsdruck. Es gab den Beschluss des EU-Parlaments vom 1. Juni 2023 über das neue Lieferkettengesetz, welcher die Sorgfaltspflichten von Unternehmen erweitert. Unternehmen müssen auch bei ihren Zulieferern darauf achten, dass grundsätzlich wenig Abfall entsteht und die Abfälle, die doch entstehen, ordnungsgemäß entsorgt werden. Aktuell gibt es einen Vorschlag für eine Ökodesign-Richtlinie, die es der EU-Kommission ermöglichen würde, analog zur Glühlampe solche Produkte vom Markt zu verbannen, durch die nicht recyclingfähiger Abfall entsteht. Und es gibt ganz reale Lösungen aus der Praxis: Kunden fragen immer stärker nachhaltig hergestellte Produkte nach, Produzenten haben somit Anreize, auch ihre verwendeten Rohstoffe und Materialien unter die Lupe zu nehmen. Der Vorteil, wenn mehr Sekundärrohstoffe genutzt werden, ist dabei ganz augenscheinlich: Die Binnenwirtschaft wird weniger abhängig von Rohstoffimporten! Das ist aktuell unheimlich wichtig wegen der derzeit sich häufenden diversen Krisen, die zu Preisschwankungen und zunehmend unsicheren Lieferketten führen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Alle Maßnahmen müssen sich auch rechnen, die regionale Wirtschaft kann ja nicht nur als Finanzier gesellschaftlichen Wandels über das Steueraufkommen gesehen werden, sondern muss daran betriebswirtschaftlich partizipieren, sonst hat es für Unternehmen keinen Sinn. Wie können Unternehmen mitgestalten? Gibt es Strukturen innerhalb des Projekts „Mein Leipzig schon‘ ich mir“, bei denen sich Wirtschaftstreibende mit ihren Ideen und Realitäten einbringen können?
Elke Franz: Es gab zum einen den Fachworkshop „Handel und Gewerbe“ im Juni 2023. Hierzu waren Vertreterinnen und Vertreter aus Leipzigs Wirtschaft, aber auch Fachexpertinnen und -experten aus Wissenschaft, Verwaltung und der Zivilgesellschaft eingeladen. Die dabei entstandenen Ergebnisse werden aktuell aufgearbeitet und dann zum Bürgerforum am 11. November 2023 im Neuen Rathaus vorgestellt. Außerdem wird es dann erneut die Möglichkeit geben, zu den Ergebnissen Feedback zu geben. Der Termin wird auf www.mein-leipzig-schon-ich-mir.de veröffentlicht. Ihre Leserinnen und Leser sind alle herzlich eingeladen. Zum anderen kommen wir gerne mit Leipzigs Wirtschaft ins Gespräch. Wir informieren über das Projekt „Mein Leipzig schon‘ ich mir“ und was dahintersteckt. Wir beraten zur Umsetzung der Gewerbeabfallverordnung. Und wir vernetzen gerne mit anderen Wirtschaftsteilnehmerinnen und -teilnehmern.
Ganz konkret wird es ein Kaufhaus der Zukunft geben. Hier ist ein bald anstehender Schritt, dass sich Leipziger kreislauffähige Unternehmen bewerben, um eine Verkaufsfläche in dem Kaufhaus zur Miete zu bekommen. Aktuell sind wir noch auf der Immobiliensuche, doch bald wird ein Bewerbungszeitraum starten, in dem wir dann die Unternehmen auswählen, die Teil des Kaufhauses werden können. Dank einer Förderung werden die Mietflächen am Anfang als Starthilfe für die Unternehmen zu einer vergünstigten Miete angeboten.
Am Ende führt dies einerseits zu weniger Abfall und geringeren Kosten, aber auch zu einer sinkenden Nachfrage nach bestimmten Produkten. Dafür entsteht eine wachsende Nachfrage nach Dienst- und Handwerkerleistungen. Dafür sind jedoch noch viele gesellschaftliche Veränderungen notwendig.
WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Frau Franz, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.
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