
Praxistage der Oberschule Markranstädt. Eine großartige Idee.
26. Juni 2025Die Oberschule Markranstädt hat Praxistage für ihre Schülerinnen und Schüler initiiert und schreibt damit seit vier Jahren eine Erfolgsgeschichte. Wir sprachen mit der Schulleiterin Christiane Nestler über Gründe und Hintergründe, Ziele und mögliche Kooperationen mit der regionalen Wirtschaft.
Frau Nestler beantwortet im Gespräch auch Fragen zur Resonanz und zur Umsetzung des Projekts, welches gern „Schule machen“ kann.
WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Frau Nestler. Sie sind die Schulleiterin an der Oberschule in Markranstädt. Im Bereich der Beruflichen Orientierung Ihrer Schülerinnen und Schüler haben Sie Praxistage eingerichtet. Können Sie uns darüber bitte etwas erzählen? Wie funktionieren diese Praxistage und wie kam es zur Idee der Praxistage?
Christiane Nestler: Besonders die Schülerinnen und Schüler aus unserer Hauptschulklasse hatten nach der Coronazeit vor vier Jahren Schwierigkeiten, im Schulalltag anzukommen. Mangelnde Motivation und Sinnhaftigkeit, zum Teil entwickelte (Schul)Ängste und Ziellosigkeit führten vermehrt zu Schulverweigerungsverhalten oder zu ungünstigen Lerneinstellungen.
Im Kollegium haben wir beraten und sind zu dem Entschluss gekommen, einen Versuch zu starten, den Schulalltag mit Praxisbezug und Lebensweltbezug zu beleben. Inspiriert haben uns die Konzepte von Margret Rasfeld „Schule im Aufbruch“, die mit dem Freiday Möglichkeiten zum regelmäßigen projektorientierten Arbeiten in den Diskurs einspeisten.
Unsere Schülerinnen und Schüler sollten am außerschulischen Lernort erste Einblicke in die Arbeitswelt gewinnen können, regelmäßig einen ganzen Freitag (bis zu sechs Stunden) in einem Unternehmen ihrer Wahl verbringen und Grundkompetenzen zur Kommunikation, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Konfliktfähigkeit erleben und entwickeln sowie ihr Durchhaltevermögen und ihr Selbstkonzept bestenfalls verbessern. Positive Erfahrungen in der Arbeitswelt sollten dazu motivieren, die schulischen Leistungen zu verbessern und engagiert am Abschluss HS zu arbeiten. Aktuell sind wir im vierten Jahr und das sehr erfolgreich! Viele Ausbildungsplätze haben sich aus den Praxistagen ergeben. Im letzten Schuljahr hatten wir eine hundertprozentige Abschlussquote und keine Schulverweigerer in der Abschlussklasse. Hier konnten wir wirklich großartige Ergebnisse erzielen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Gab es Widerstände? Wie wurde die Idee aufgenommen?
Christiane Nestler: Es gab wenig Widerstände im Kollegium, da die möglichen positiven Effekte überwogen. Die Schülerinnen und Schüler freuten sich über die Vier-Tage-Schulwoche und auf ihren Einsatz im selbstgewählten Betrieb. Fachlehrerinnen und -lehrer, die Unterrichtszeit abgegeben hatten, erstellten Aufgaben für ein am Schuljahresende abzugebendes Portfolio, welches auch bewertet wurde. Auch die Eltern begrüßten den neuen Ansatz, einzelne Bedenken wegen verminderter Unterrichtszeit konnten ausgeräumt werden, da Inhalte von WTH (Wirtschaft-Technik-Hauswirtschaft/Soziales), Englisch und Mathematik trotzdem im Portfolio praxistagbezogen abgedeckt werden konnten.
WIRTSCHAFT ONLINE: Und die Resonanz bei den Hauptschülerinnen und Hauptschülern sowie den Unternehmen? Wie ist die Stimmung?
Christiane Nestler: Überwiegend ist die Stimmung gut. Nur wenige Betriebe wurden nach der Mindestzeit von acht Wochen gewechselt. Die meisten Schülerinnen und Schüler gehen sehr gern in den Praxistag, präsentieren zu Schuljahresende mit Stolz ihre Erlebnisse zum Schulhoffest und konnten ihren Praktikumsplatz für die Klasse 9 sichern, wenn gewünscht. Von Unternehmensseite gab es bisher keine Klagen. Und es kommen noch immer neue Unternehmen auf zu, die Praxistage anbieten möchten.
WIRTSCHAFT ONLINE: An Ihrer Schule sind drei Pädagoginnen und Pädagogen Ansprechpersonen in Sachen Berufsvorbereitung: Frau Schindler, Herr Elter und Frau Frommann. Wie kam es, dass gerade diese ihre Expertise in diesem Segment ausbauten?
Christiane Nestler: Frau Schindler hat sich schon seit langem um die Koordinierung der Berufsorientierungsangebote an unserer Schule gekümmert, sie unterrichtet WTH und TC (Technik und Computer) und ist damit prädestiniert für diese Aufgabe. Herr Elter, mit zusätzlicher sonderpädagogischer Ausbildung und ebenfalls WTH- und TC-Lehrer kümmert sich besonders um unsere Hauptschülerinnen und -schüler und Frau Frommann als Beratungslehrerin unterstützt bei Problemen oder berät bei der Suche nach dem passenden Praxistagbetrieb. Daneben unterstützt Frau Opitz als neue Schulassistentin das Team, das in enger Abstimmung mit Frau Weber (Wirtschaftsförderung der Stadt Markranstädt) und Frau Kuhnert (Jobcenter) sowie natürlich mit der Schulleitung geschieht.
WIRTSCHAFT ONLINE: Aus Ihrer Sicht als Oberschul-Leiterin: Was muss sich verändern - und durch wen – damit Ihre Schülerinnen und Schüler sinnstiftende Berufe ergreifen können? Wir brauchen schließlich alle jungen Fachkräfte …
Christiane Nestler: Auf jeden Fall sollte der Austausch zwischen Schule und Wirtschaft weiter intensiviert sowie Kompensationsmöglichkeiten von Lehrermangel und Ausfall durch projektorientiertes Lernen in Kooperation mit Unternehmen geschaffen werden. Der Fokus muss auf das Üben von Zukunftskompetenzen im Schulalltag gerichtet sein und die Lernumgebung sollte an neue Arbeitsweisen angepasst werden können. Hier möchte ich gern Stichworte wie „Makerspace“, Lernlabor und außerschulische Lernorte einbringen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Von der Idee zur Umsetzung ist in der Regel ein weiter Weg. Gab es Unterstützung? Mit wem kooperieren Sie beim Thema Praxistage?
Christiane Nestler: Nach dem „grünen Licht“ seitens des Landesamtes für Schule und Bildung konnte über bereits bestehende Kooperationen und Formate der städtischen Wirtschaftsförderung der Praxistag beworben und vorgestellt werden, um die Unternehmen aufzuschließen und auf die anfragenden Schülerinnen und Schüler vorzubereiten. Hierzu habe ich als Schulleiterin verschiedene Veranstaltungen besucht und bin direkt in den Austausch gegangen. Auf der Markranstädter Unternehmermesse habe ich ebenfalls seither einen eigenen Stand, um neue Kooperationspartner anzuwerben, beziehungsweise um in den Dialog zu kommen. Im Überlandgespräch des Landkreises, gemeinsam mit unserem Landrat Graichen, konnte der Praxistag auch weiter effektiv beworben werden.
WIRTSCHAFT ONLINE: Wenn Sie in entscheidender Position wären und einen Wunsch, der auch wirklich in Erfüllung gehen würde, freihätten: Welchen Wunsch würden Sie äußern für den Bildungsbereich insgesamt?
Christiane Nestler: Offenheit aller Player für neue Wege und Modelle der Bildung und Verlässlichkeit! Verlässlichkeit in Hinblick auf die Verfügbarkeit zugesicherter Budgets, aber besonders im Hinblick auf den Ausbau und das Bestehenbleiben der multiprofessionellen Teams, was die Entfristung der Verträge der Schulassistenzen und Schulverwaltungsassistenzen als ersten Schritt voraussetzt und eine kontinuierliche Professionalisierung ermöglichen kann, da Vorhaben wie Praxistage, Schnuppertage, umfangreiche Projekte wie der Aufbau und die Betreuung unserer neuen Schülerfirma viel Zeit, Engagement und Verwaltungs- und Betreuungsarbeit erfordern. Freiräume für Schüler, Schulentwicklung und ganz konkret für meine Schule: eine neue zeitgemäße Lehrküche … Falls noch Kooperationspartner Lust auf die Oberschule Markranstädt haben sollten …
WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, liebe Frau Nestler, für Ihr Engagement und Ihre Antworten.
Praxistage auf der IHK-Website
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