
Patienten können erheblich dazu beitragen, ein optimales Operationsergebnis zu erzielen.
14. August 2025Leipzig ist ein Hotspot der Start-up-Szene. Gerade im Gesundheitsbereich gibt es hier beeindruckende neue Ansätze und Produkte. Für die ActiveTEP-App, die Patienten, denen ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt wurde, begleitet, zeichnet Emily Hickmann mit ihrem Team verantwortlich.
Wir fragten nach den Gründen für den Umzug von Meißen nach Leipzig, Finanzierungsmodellen, der App selbst und dem hiesigen Innovationsökosystem.
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Interview das generische Maskulinum verwendet. Die in dem Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Emily Hickmann. Sie sind eine der drei Vertretungsberechtigten Geschäftsführer der DORA Digitale Orthopädieanwendungen GmbH mit Sitz in Leipzig. 2024 wurden Sie für den Sächsischen Gründerpreis nominiert, damals saßen Sie noch in Meißen. Was waren die Gründe für den Umzug Ihres Unternehmens nach Leipzig in die Essener Straße?
Emily Hickmann: Wir wussten von Anfang an, dass Meißen (eine an die private Adresse meines Mitgründers gekoppelte Adresse) kein langfristiger Standort unseres Unternehmens bleibt. Leipzig bot sich dann aus mehreren Gründen an: Erstens bietet Leipzig eine sehr gute Anbindung für unser Team und externe Partner. Zweitens profitieren wir sehr von dem dortigen Innovationsökosystem wie dem Leipziger Impact Hub, dessen Projekten wie SINN, der IHK zu Leipzig und auch dem Innovationscluster Life Sciences der Stadt Leipzig. Drittens hat uns Leipzig auch neue Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet. Wie viele Start-ups arbeiten wir auch oft im Homeoffice, haben aber mit Leipzig einen tollen Standort für Treffen und eine Zusammenarbeit mit Partnern gefunden.
WIRTSCHAFT ONLINE: Sie haben eine Gesundheits-App auf den Markt gebracht, welche Menschen von A bis Z (wie Sie auf Ihrer Homepage schreiben), von der Vorbereitung bis zur Nachsorge, bei der Hüft-OP begleitet. Wie kam es zu diesem Produkt? Solch eine App ist nicht in einer Garage in einer Nacht zusammengebaut. Das braucht immens viel Expertise und Wissen und Vorlaufzeit. Können Sie uns darüber bitte etwas erzählen?
Emily Hickmann: Ganz und gar nicht in einer Nacht. Zwischen der ersten Idee und der finalen ActiveTEP-App lagen drei Jahre intensive Arbeit. Schon vor meinem Studium im Gesundheitsmanagement habe ich in einer orthopädischen Praxis gearbeitet und kannte so die Abläufe rund um die Endoprothetik. Einige Jahre nach meinem Studium kehrte ich an die Universität zurück, um zu promovieren, und war sofort fasziniert von dem Thema der Patientenbefähigung. Mich beschäftigte die Frage: Wie können Patienten zu aktiven Co-Gestaltern ihrer eigenen Gesundheit befähigt werden? Aufgrund der hohen Standardisierung in der Endoprothetik eignete sich diese Indikation besonders gut für einen digitalen Ansatz. Denn Patienten können erheblich dazu beitragen, ein optimales Operationsergebnis zu erzielen, und viele Herausforderungen im Versorgungsprozess sind für Endoprothesen-Nutzende immer wieder ähnlich.
Zu meinem interdisziplinären Team und meinen Partnern gehören erfahrene App-Entwickler (die Gründer der Bornholdt Lee GmbH in Hamburg), Orthopäden, Wissenschaftler, eine großartige Patientengruppe, Anästhesisten, Ernährungsmediziner und viele weitere. Ohne ihr Know-how und ihre Unterstützung wäre ActiveTEP nicht möglich gewesen. Malte Bornholdt und Dr. Martin Burwitz sind meine Co-Geschäftsführer.
WIRTSCHAFT ONLINE: Gerade die Gesunderhaltung der Menschen sowie ein funktionierendes Gesundheitssystem mit Krankenhäusern, Vorsorgeeinrichtungen usw. sind wichtige Standortfaktoren für die regionale Wirtschaft. Ich las, dass Ihr Unternehmen kofinanziert wird von der Europäischen Union und mitfinanziert wird durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts. Wie funktioniert das?
Emily Hickmann: Es gibt verschiedene öffentliche Förderprogramme, die junge und innovative Start-ups wie unseres unterstützen. Zum Beispiel bei der Sächsischen Aufbaubank (SAB) haben wir vom Business Angel Bonus sowie dem InnoStartBonus profitiert. Es gibt aber auch zahlreiche andere Programme bei der SAB oder anderen Organisationen, wie EXIST oder dem BMWK, die wertvolle Starthilfe leisten können.
WIRTSCHAFT ONLINE: Können Sie uns die App bitte etwas erläutern? Ich habe noch keine wirkliche Vorstellung davon.
Emily Hickmann: ActiveTEP ist ein Medizinprodukt der Klasse I und begleitet Patienten, denen ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt wird, drei Monate vor und drei Monate nach der Operation. Über diesen Zeitraum erhalten Patienten entlang ihres individuellen Patientenpfades Wissensmodule bereitgestellt, beispielsweise zu den Themen Erwartungshaltung an die OP, Alkohol- und Rauchstopp, Ernährungs- und Gewichtsmanagement, Aufregung vor der OP, richtiger Umgang mit Unterarmgehstützen, Verhaltensrichtlinien nach der OP und vieles mehr. Ergänzt wird dieses Angebot durch ein kompaktes Trainingsprogramm vor der Operation, für die Frühmobilisation sowie für die Zeit nach der Operation. Hierbei werden alle relevanten Muskelgruppen rund um die Hüfte adressiert, ohne den Patienten mit zu vielen und zu komplexen Übungen zu überfordern. Ergänzende Funktionen, wie ein Tagebuch und Erinnerungsfunktionen, sollen zudem die Selbstverantwortung der Patienten stärken. Ziel ist es, Patienten ideal auf die OP vorzubereiten, sie zu motivieren und frühzeitig nach der OP zurück in die Selbstständigkeit zu begleiten. Wir arbeiten aktuell bereits an der Entwicklung einer zweiten App für Patienten, die ein künstliches Kniegelenk erhalten.
WIRTSCHAFT ONLINE: Auf Ihrer Homepage haben Sie auch eine Sammlung von FAQs zum Thema Hüft-OP. Wer hat die Fragen denn beantwortet?
Emily Hickmann: Die FAQs basieren auf unseren Wissensmodulen, die wir sowohl in der App als auch in einem Buch rund um die Hüft-OP anbieten. Die Auswahl der Themen haben wir anhand von Interviews mit Orthopäden sowie Patienten, die bereits selbst eine künstliche Hüfte haben, vorgenommen. Für jedes Thema wurde eine systematische Recherche in der Fachliteratur durchgeführt. Die Inhalte wurden anschließend intern und in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Experten wie Orthopäden, Anästhesisten, Ernährungsmedizinern und Physiotherapeuten ausgearbeitet. Nach mehreren Überarbeitungs- und Verbesserungsrunden wurden die Module schließlich einer abschließenden Qualitätskontrolle durch unsere Patientengruppe unterzogen, um deren Verständlichkeit und Nutzen sicherzustellen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Ihre App gehört doch auf den Weltmarkt. Hüft-OPs gibt es überall und Ihr Angebot hat doch auch fast überall Gültigkeit. Wie sieht es denn mit der Expansion aus bei Ihnen?
Emily Hickmann: Das stimmt, der Bedarf besteht international. Allerdings stehen wir noch am Anfang. Wir haben erste Pilotkliniken, in denen ActiveTEP zum Einsatz kommt, und wir arbeiten auch an ersten Finanzierungsmöglichkeiten durch die Krankenkassen. Unser aktuelles Ziel ist deshalb erst einmal, die Anwendung in Deutschland zu etablieren. Dafür ist es vor allem notwendig, dass wir unsere Bekanntheit steigern – sowohl Patienten als auch Kliniken müssen von ActiveTEP erfahren! Zudem möchten wir unser Portfolio auf weitere Eingriffe beziehungsweise Indikationen in der Endoprothetik erweitern, wie die Knie- oder auch die Schulter-TEP (Totalendoprothese), bevor wir dann auch internationale Märkte ins Auge fassen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Frau Hickmann, für Ihre Zeit und Ihr Engagement. Und weiterhin natürlich viel Erfolg und viele bahnbrechende Ideen.
Emily Hickmann: Vielen Dank!
Bei Fragen hilft Ihnen die Redaktion der WIRTSCHAFT ONLINE gerne weiter.