Bauarbeiter betoniert
Christopher Donner, Beschäftigungspolitik und Fachkräftesicherung

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Was steht drin?

29. April 2024

Wirtschaft ist immer im Wandel und braucht deshalb angepasste Lösungen für sich auftuende Probleme. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist solch ein Lösungsansatz. Wir sprachen mit dem Experten der IHK zu Leipzig für Beschäftigungspolitik und Fachkräftesicherung Christopher Donner über die Inhalte.

Christopher Donner verweist auf Beratungsangebote, Hintergründe des Gesetzestextes, erläutert den Begriff Engpassberufe, spricht über Gehaltsgrenzen, Chancenkarten, die Westbalkanregelung und viele andere Gesichtspunkte des umfangreichen Regelwerks.

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Herr Christopher Donner. Sie arbeiten für die IHK zu Leipzig am Themenbereich Beschäftigungspolitik und Fachkräftesicherung. Deshalb ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz natürlich genau Ihr Arbeitsgegenstand. Unsere große Frage ist natürlich: Was steht drin? Beginnen wir mit der neuen „Blauen Karte EU“. Diese wurde ab November 2023 neugestaltet und erweitert.

Was ist die „Blaue Karte EU“? Was beinhaltet sie und für wen ist sie da?

Christopher Donner: Die Blaue Karte EU ist ein befristeter Aufenthaltstitel, der sich vor allem an ausländische Akademikerinnen und Akademiker oder Personen mit vergleichbaren Qualifikationen richtet. Die Voraussetzungen für die Blaue Karte EU sind ein der Qualifikation angemessenes konkretes Arbeitsplatzangebot und ein in Deutschland anerkannter Hochschulabschluss oder ein vergleichbares Qualifikationsniveau. IT-Fach- und Führungskräfte benötigen nicht zwingend einen formalen Bildungsabschluss, um die Blaue Karte EU beantragen zu können. Hier kann die Qualifikation auch durch einschlägige Berufserfahrung nachgewiesen werden. Außerdem müssen bestimmte Gehaltsgrenzen überschritten werden.

WIRTSCHAFT ONLINE: Da sprechen Sie einen wichtigen Aspekt an: die Gehaltsgrenzen. Diese wurden abgesenkt, der Personenkreis erweitert. Können Sie uns dazu bitte mehr und konkreter erzählen?

Christopher Donner: Für ausländische Akademikerinnen und Akademiker oder Personen mit vergleichbaren Qualifikationen wurde die Mindestverdienstgrenze im Rahmen der Blauen Karte EU von zwei Drittel auf 50 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung gesenkt. Die Mindestverdienstgrenze liegt nun im Jahr 2024 bei einem Jahresgehalt in Höhe von 45.300 Euro. In Engpassberufen galt schon vorher eine niedrigere Gehaltsgrenze, die durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, dem sogenannten FEG 2.0, von 52 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze auf 45,3 Prozent gesenkt wurde. Dies entspricht im Jahr 2024 einem Jahresgehalt von etwas mehr als 41.000 Euro.
Neu ist außerdem, dass die niedrigere Gehaltsgrenze der Blauen Karte EU auch für Berufsanfänger oder IT-Fach- und Führungskräfte, die keinen formalen Bildungsabschluss vorweisen können, gilt.

WIRTSCHAFT ONLINE: Sie erwähnten gerade sogenannte Engpassberufe. Was verbirgt sich hier dahinter?

Christopher Donner: Engpassberufe zeichnen sich dadurch aus, dass es im Verhältnis zu den Stellenangeboten zu wenige passend qualifizierte Arbeitskräfte gibt, wobei die Schwierigkeiten in den Besetzungen der offenen Stellen hier eher durch einen Mangel an geeigneten Arbeitskräften und weniger durch Rigiditäten am Arbeitsmarkt, wie zum Beispiel eine eingeschränkte räumliche Mobilität der potenziellen Bewerber, verursacht werden. Zu den Engpassberufen, die für die Blaue Karte EU relevant sind, zählten vor dem 18. November 2023 Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, Ärzte, sowie akademische und vergleichbare Fachkräfte in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Mit der Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wurde die Liste der Engpassberufe erweitert, sodass nun auch verschiedene Berufe wie Führungskräfte in der Produktion bei der Herstellung von Waren bzw. Dienstleistungen, weitere Gesundheitsberufe, sowie Lehrkräfte zu den Engpassberufen zählen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Die Paragrafen § 18a AufenthG und § 18b AufenthG wurden ebenfalls geändert. Welches sind die Neuerungen und wen betreffen diese?

Christopher Donner: § 18a und § 18b AufenthG regeln die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung an Fachkräfte mit Berufsausbildung bzw. mit akademischer Ausbildung. Neu bei beiden Normen ist, dass die Verbindung zwischen Qualifikation der Fachkraft und der angestrebten Beschäftigung weitestgehend entfällt. Das heißt, dass zum Beispiel eine gelernte Köchin einen Aufenthaltstitel nach § 18a AufenthG auch bekommt, wenn sie ein Arbeitsplatzangebot in Deutschland als Kauffrau im Einzelhandel vorweisen kann. Außerdem kann eine Fachkraft mit Hochschulabschluss nach § 18b AufenthG auch eine Tätigkeit ausüben, die normalerweise einen Berufsausbildungsabschluss voraussetzt. Im Gegensatz zur Rechtslage bis zum 17. November 2023 steht die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 18a oder §18b AufenthG auch nicht mehr im Ermessen der titelerteilenden Stelle. Vielmehr besteht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind.

WIRTSCHAFT ONLINE: Innerhalb des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wurden auch Berufskraftfahrerinnen- und Berufskraftfahrerregelungen neugefasst. Das betrifft ganz besonders das Speditionswesen. Was ist neu?

Christopher Donner: Seit dem 18. November 2023 prüft die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr, ob die erforderliche EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis vorliegt. Das bedeutet aber nicht, dass die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sein müssen. Stattdessen ist der Arbeitgeber in der Pflicht zu überprüfen, ob die erforderliche EU- oder EWR-Fahrerlaubnis und die Berufskraftfahrerqualifikation vorliegen. Weiter entfallen die Vorrangprüfung und unter Umständen auch die geforderten Sprachkenntnisse.

WIRTSCHAFT ONLINE: Seit März 2024 gibt es neue Regelungen zur Beschäftigung und Anerkennung. Können Sie uns hier bitte einen Einblick gewähren?

Christopher Donner: Die Möglichkeiten zum Aufenthalt in Deutschland zur beruflichen Anerkennung wurden zum März 2024 ausgeweitet. Erstens ist es nun möglich, sich bis maximal drei Jahre in Deutschland aufzuhalten, um Qualifizierungsmaßnahmen zur beruflichen Anerkennung zu absolvieren. Außerdem kann jetzt einer Nebenbeschäftigung von 20 statt zehn Stunden pro Woche nachgegangen werden. Zweitens wurden zwei neue Aufenthaltstitel zum Aufenthalt zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse geschaffen. Bei der Anerkennungspartnerschaft verpflichten sich der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin und die angehende Fachkraft dazu, die Anerkennung nach der Einreise zu beantragen und das Verfahren einschließlich der Qualifizierung aktiv zu betreiben. Der Aufenthalt ist hierfür zunächst auf ein Jahr befristet, kann aber auf bis zu drei Jahre erweitert werden.
Neu ist auch die Möglichkeit zur Einreise zur Durchführung einer Qualifikationsanalyse. Wenn die für die Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikation zuständige Stelle eine Qualifikationsanalyse vorschlägt, kann die angehende Fachkraft sich für ein solches Verfahren bis zu sechs Monate in Deutschland aufhalten.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie funktioniert die „kurzzeitig kontingentierte Beschäftigung“?

Christopher Donner: Die kurzzeitige kontingentierte Beschäftigung ist ein zeitlich befristeter Arbeitsmarktzugang unabhängig von der Qualifizierung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers. Sie bietet Arbeitgebenden die Möglichkeit, Engpässe in Spitzenzeiten, wie sie beispielsweise im Hotel- und Gaststättengewerbe vorkommen können, durch die Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auszugleichen. Voraussetzung ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 30 Stunden pro Woche. Die Beschäftigung muss außerdem bei tarifgebundenen Arbeitgebenden erfolgen bzw. bei Arbeitgebenden, bei denen die Arbeitskräfte nach den tariflichen Arbeitsbedingungen beschäftigt sind. Auch muss der Betrieb die Reisekosten übernehmen. Weiter darf die Beschäftigung acht Monate innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nicht überschreiten und ein Arbeitgeber bzw. eine Arbeitgeberin kann Personen auf Grundlage von kurzzeitig kontingentierter Beschäftigung nur für zehn Monate innerhalb von zwölf Monaten beschäftigen.
Die Bundesagentur für Arbeit hat ein Kontingent pro Kalenderjahr in Höhe von 25.000 Zustimmungen für die Erteilung von Arbeitserlaubnissen festgesetzt. Dieses Kontingent kann entsprechend dem Bedarf auf dem Arbeitsmarkt jederzeit angepasst werden. Es besteht keine Beschränkung auf bestimmte Branchen, ausgeschlossen sind jedoch Saisonbeschäftigungen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Ab Juni 2024 wird beispielsweise die Chancenkarte eingeführt. Was ist das und was gibt es für weitere Neuerungen ab Juni?

Christopher Donner: Die Chancenkarte ist ein Aufenthaltstitel, der zum Aufenthalt in Deutschland zur Suche nach einem Arbeitsplatz oder Anerkennungs- bzw. Qualifikationsmaßnahmen für ein Jahr berechtigt. Fachkräfte, also Personen mit einem in Deutschland anerkannten ausländischen Ausbildungs- oder Hochschulabschluss, können die Chancenkarte ohne weitere besondere Voraussetzungen erhalten. Alle anderen Personen müssen entweder einen im Ausbildungsstaat staatlich anerkannten mindestens zweijährigen Berufsabschluss, einen ausländischen Hochschulabschluss oder von einer deutschen Auslandshandelskammer erteilten Berufsabschluss nachweisen. Außerdem müssen diese Personen mindestens einfache deutsche oder englische Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 vorweisen. Sind die oben genannten Anforderungen erfüllt, werden auf Basis von Kriterien wie berufliche Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter Punkte vergeben. Sind mindestens sechs Punkte erreicht, kann die Chancenkarte erteilt werden. Eine weitere Regelung, die zum Juni 2024 in Kraft treten wird, betrifft die Westbalkanregelung. Hier wird das Kontingent, also die Obergrenze für die Anzahl an Arbeitsmarktzustimmungen, von 25.000 auf 50.000 angehoben.

WIRTSCHAFT ONLINE: Was ist die Westbalkanregelung?

Christopher Donner: Die „Westbalkanregelung“ ermöglicht es Personen aus den nicht zur EU gehörenden Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien eine Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Erforderlich dafür sind eine verbindliche Arbeitsplatzzusage des künftigen Arbeitgebers und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Formale Anforderungen an die Qualifikation werden nicht gestellt.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wo erhalten Unternehmen, die mit einwandernden Fachkräften oder Azubis arbeiten möchten, Beratung und Unterstützung?

Christopher Donner: Die IHK zu Leipzig hat ein neues Fachkräfteprojekt gestartet. Darin beraten wir unsere Mitgliedsunternehmen zum Beispiel zu Fragen bezüglich des Umgangs mit Bewerbungen aus Drittstaaten, ausländerrechtlichen Bedingungen und Vorgehensweisen. Zusätzlich ist geplant, unsere Mitgliedsunternehmen zukünftig mit Fachkräften aus Drittstaaten mithilfe einer Matching-Plattform zusammenzubringen, sodass auch unseren kleinen und mittleren Unternehmen eine sicherere, schnellere und kostengünstigere Möglichkeit zum Anwerben ausländischer Fachkräfte zur Verfügung steht.

Die Ansprechpartnerinnen für das Fachkräfteprojekt der IHK zu Leipzig sind meine Kolleginnen Frau Ruhnau und Frau Weiß.

Text des Gesetzes

Ihre Kontaktperson

Bei Fragen hilft Ihnen Yvonne Ruhnau gerne weiter.

T: +49 341 1267-1379
F: +49 341 1267-1420
E: yvonne.ruhnau@leipzig.ihk.de

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