Portrait Ministerin Fahnen

Wirtschaft als unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft

05. April 2022

Gespräch mit der Schul- und Bildungsministerin von Nordrhein-Westfalen Yvonne Gebauer

Die IHK zu Leipzig setzt sich in ihren Wirtschaftspolitischen Positionen für ein Schulfach WIRTSCHAFT ein. Bis dahin ist es in Sachsen noch ein weiter Weg, der anderswo bereits beschritten wurde, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. WIRTSCHAFT ONLINE sprach deshalb mit der Schul- und Bildungsministerin von Nordrhein-Westfalen, Yvonne Gebauer, über die Resonanz, Akzeptanz und Gründe für dieses Schulfach.

WIRTSCHAFT ONLINE: In den Wirtschaftspolitischen Positionen 2022 der IHK zu Leipzig machen wir uns für ein Schulfach WIRTSCHAFT in Sachsen stark. Sie, liebe Frau Ministerin Gebauer, haben solch ein Fach in NRW schon etabliert. In Baden-Württemberg gibt es solch ein Fach sogar schon seit 2017. Welche Gründe hatten Sie in NRW, Wirtschaft als Schulfach einzuführen?

Yvonne Gebauer: Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben unserer Schulen, junge Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben in unserer Gesellschaft vorzubereiten. Unsere Schülerinnen und Schüler sollen lernen, die politischen, sozialen und auch die wirtschaftlichen Verhältnisse verantwortungsvoll mitzugestalten. Das Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen in einer globalisierten Welt ist hierfür besonders wichtig und stellt für mich einen unverzichtbaren Bestandteil der Allgemeinbildung dar.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und wie werden Lehrerinnen und Lehrer auf dieses Fach vorbereitet? Ich kenne einige Lehrende hier in Sachsen; in den seltensten Fällen hatten diese schon einmal etwas in ihrem Leben mit den Mechanismen der Wirtschaft zu tun.

Yvonne Gebauer: Entscheidend ist, dass wir unsere Lehrerinnen und Lehrer gut für den Unterricht im Schulfach Wirtschaft ausbilden. Dabei fahren wir zweigleisig: Zum einen bieten wir über unsere Bezirksregierung einjährige Zertifikatskurse an, mit denen Bestandslehrkräfte eine zusätzliche Lehrbefähigung für das Fach Wirtschaft erwerben können. Auf diesem Wege konnten wir bereits mehr als 80 Lehrerinnen und Lehrer qualifizieren. Darüber hinaus haben wir in die sogenannte Lehramtszugangsverordnung ein entsprechendes Studienfach aufgenommen, um Lehrkräfte künftig auch an den Universitäten für das Schulfach Wirtschaft grundständig auszubilden.

WIRTSCHAFT ONLINE: Was beinhaltet das Fach bei Ihnen in NRW?

Yvonne Gebauer: Wir haben die Inhalte für das Schulfach Wirtschaft bewusst breit aufgestellt, um eine umfangreiche ökonomische Mündigkeit bei den Schülerinnen und Schülern zu fördern. Grundsätzlich geht es neben Kenntnissen der Wirtschaftsordnung auch um praktische und alltagsnahe Themen wie Verbraucherrechte, um soziale Sicherung und Absicherung. Genauso sollen Schülerinnen und Schüler Kenntnisse über die Bedeutung des Mittelstands und des Handwerks sowie über Grundlagen betrieblicher Strukturen und Prozesse erlangen, aber auch Themen wie „Gründung“ und „Entrepreneurship“ und Zukunftsthemen wie nachhaltige Entwicklung kennenlernen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und wie ist die Resonanz?

Yvonne Gebauer: Trotz aller teils ideologischer Vorbehalte ist die Einführung des neuen Schulfachs an den weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen reibungslos gelaufen. Zwar konnten wir die Umsetzung in den Schulen pandemiebedingt noch nicht so intensiv mitverfolgen, wie wir es gerne gemacht hätten. Aber dennoch lässt sich sagen: Das Fach wird von allen Beteiligten gut angenommen.

WIRTSCHAFT ONLINE: In einem Interview mit dem Handelsblatt sagten Sie zum Thema: „Es geht um ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben der jungen Menschen. Darauf müssen wir sie vorbereiten und ökonomische Kompetenzen gehören ganz wesentlich dazu.“ War der Weg, diese Einsicht durchzusetzen, ein schwerer Weg? Wie sind Sie vorgegangen? Welche Widerstände gab es und wie haben Sie diese Widerstände bearbeitet?

Yvonne Gebauer: Nicht umsonst habe ich meine Äußerung zu Beginn dieses Interviews in anderen Worten wiederholt, denn ich bin fest davon überzeugt, dass ökonomische Bildung an unseren Schulen einen Platz haben muss. An der einen oder anderen Stelle musste schon Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber am Ende haben sich die besseren Argumente durchgesetzt. Das war ja nicht zuletzt auch ein Wunsch unserer Schülerinnen und Schüler. Mit dem neukonzipierten Fach haben wir an unseren Schulen im wahrsten Sinne des Wortes eine Bildungslücke geschlossen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie weit ist denn das Lehramtsstudium Wirtschaft in NRW gediehen?

Yvonne Gebauer: Die Neuprofilierung des bisherigen Studienfachs „Sozialwissenschaften“ hatte ich schon erwähnt. Freilich kann und will das Land den Universitäten im Rahmen ihrer grundrechtlichen Freiheiten nicht in gleicher Weise „Lehrpläne“ vorgeben wie den Schulen. Die Hochschulen müssen ihre Systeme aber auf die neuen Studienfächer umstellen und ihre Curricula und Vorgaben so gestalten, dass sie dem neuen schulischen Rahmen korrespondieren. Das ist innerhalb des bundesweiten Akkreditierungssystems ein Gegenstand der laufenden und kommenden Re-Akkreditierung von Lehramtsstudiengängen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie partizipieren Unternehmen in NRW von der Einführung des Fachs Wirtschaft? Gab es zum Beispiel dadurch ein erhöhtes Interesse, sich für eine Ausbildung zu entscheiden?

Yvonne Gebauer: Für eine solche Bilanz ist es sicherlich noch zu früh. Klar ist jedoch: Das Schulfach soll dazu beitragen, unseren Schülerinnen und Schülern „die Wirtschaft“ als unverzichtbaren Teil unserer Gesellschaft bewusst und bekannt zu machen. Darüber hinaus setze ich mich als Schul- und Bildungsministerin mit einer umfassenden Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung dafür ein, mehr junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und gibt es noch weitere Ideen in Ihrem Haus, das Thema Förderung ökonomischer Kompetenzen betreffend?

Yvonne Gebauer: Für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes kommt es darauf an, dass junge Menschen neue Ideen entwickeln und unternehmerisch verwirklichen. Die dafür notwendigen unternehmerischen Kompetenzen und auch einen Gründergeist wollen wir bei den jungen Menschen früh fördern. Deswegen haben wir das Thema in den Kernlehrplänen und im Unterricht verankert. Darüber hinaus haben wir eine Offensive gestartet, um Schülerinnen, Schüler und Azubis über ihre Möglichkeiten als Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer zu informieren. Ganz aktuell fördern wir zum Beispiel das Pilotprojekt „Business Rallye“, bei dem Schülerinnen und Schüler eine Geschäftsidee entwickeln, daraus ein Geschäftsmodell erarbeiten und dann kleine lokale Vertriebsaktionen planen. Ihre Ideen müssen sie dann in einem Pitch präsentieren. Das ist ökonomischen Bildung im besten Sinne.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Frau Ministerin Gebauer, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

Das Schulministerium NRW im Netz.
Die Wirtschaftspolitischen Positionen der IHK zu Leipzig.

Fotocredit: MSB/ Susanne Klömpges

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