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WIRTSCHAFT: Die Interessenvertretung der IHK zeigt also Wirkung? Kirpal: Ja, wir erleben Schritte in Richtung mehr Markt. Aber da ist noch Luft nach oben. Im Moment werden wichtige Vorhaben verschleppt, weil die Koalition im Bund zerbrochen ist. Dazu zählt, dass die Einspeisevergütung bei negativen Strompreisen entfallen und die Direktvermarktungspflicht ausgeweitet werden sollen. Es ist egal, wer das Notwendige umsetzt, um Stromsystem und Preise stabil zu halten – Hauptsache, es wird schnell umgesetzt. Uns ist zudem wichtig, dass nicht nur die Energieerzeugung, sondern auch ihre Nutzung technologieoffen gestaltet wird. Dazu rechnen wir einerseits verschiedene Arten, Energie netzdienlich zu speichern, etwa über Batteriespeicher, Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge, und andererseits Varianten, Energie so an Stoffe zu binden, dass sie marktfähig weiterverwertbar sind; das läuft unter dem Begriff Power to X. Außerdem brauchen wir eine ausreichend dimensionierte Netzinfrastruktur. WIRTSCHAFT: Da sprechen wir über enorme Investitionen … Kirpal: Das ist so. Aber ohne Netzinfrastruktur verpufft das Potenzial. Wir müssen wegkommen von der reinen Erzeugungsförderung und die gesamte Wertschöpfungskette – von der Produktion über die Speicherung bis hin zum Transport – in Angriff nehmen. Wir rechnen mit 600 bis 800 Milliarden Euro, die in die Stromnetze, Speicher und steuerbare Kraftwerke fließen müssen. Da haben wir über die Wärmewende noch gar nicht gesprochen. Und die wird Kommunen, Energieversorgern und Wohnungswirtschaft viel abverlangen. „Wir müssen wegkommen von der reinen Erzeugungsförderung und die gesamte Wertschöpfungskette in Angriff nehmen.“ WIRTSCHAFT: Wo soll das Geld herkommen? Kirpal: Für solche Mammutaufgaben muss man staatliche Förderung, darunter europäische Gelder, mit marktwirtschaftlichen Anreizen und privatem Kapital kombinieren, etwa über Investitionsboni oder steuerliche Abschreibungen. Was über den Emissionshandel eingenommen wird, könnte direkt in Infrastrukturprojekte und einen Investitionsfonds fließen. Aber all das muss langfristig planbar sein, die Regeln dürfen sich nicht dauernd ändern, sonst steckt da niemand sein Geld rein. WIRTSCHAFT: Nun gestalten verschiedene Länder ihre Energiepolitik unterschiedlich. Müsste man hier nicht auch ansetzen, wenn wir Abwanderung verhindern wollen? Kirpal: Das stimmt, das führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass Marktregeln und Fördersysteme harmonisiert werden. Der europäische Emissionshandel muss so weiterentwickelt werden, dass wir keinen Nachteil bei Exporten erleiden. Emissionshandel und Umweltstandards sind am wirkungsvollsten, wenn sie global gelten. WIRTSCHAFT: Gibt es auch wirtschaftliches Potenzial, das in der Energiewende schlummert und noch nicht gehoben ist? Kirpal: Lassen Sie mich klar sagen: An der Dekarbonisierung der Wirtschaft führt kein Weg vorbei. Nachhaltigkeit ist und bleibt ein Megatrend, auch, wenn zum Beispiel die USA im Moment in eine andere Richtung steuern. Wenn wir es schlau anstellen, entstehen über Innovationen neue Geschäftsmodelle. Wasserstoffwirtschaft und Kohlendioxidmanagement sind zentrale Innovationsfelder. Aber wir müssen unsere Industriebetriebe mitnehmen. Wenn zum Beispiel eine Gießerei keinen Wasserstoff verfeuern kann, weil ihre Öfen noch nicht darauf ausgelegt sind, darf man die Firma dafür nicht bestrafen. Wir brauchen Augenmaß und müssen den Unternehmen die Zeit geben, die sie für Innovationen brauchen. Wenn wir das ausgewogen hinkriegen, gewinnen Klimaschutz und Wirtschaft gleichermaßen – und damit wir alle. (jad) 7 IHK zu Leipzig Magazin „Wirtschaft“ Ausgabe Winter 2024 Energie Spezial

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