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Der Klimageist aus der Flasche Der grüne Strom ist da. Wie man ihn speichert – dafür legt der Anlagenbauer Nikkiso CRYOTEC in Wurzen mit Ideen und Lösungen vor. Gase in Gefäße zu bannen – das ist die Superkraft, die die Firma von Corinne Ziege beherrscht. Nikkiso CRYOTEC heißt sie, und mit 40 Beschäftigten plant und stellt sie Anlagen her, in denen Gase gereinigt und kryogen, also tiefkalt verflüssigt werden, darunter Sauerstoff, Argon, Wasserstoff und Kohlendioxid. Vom Wurzener Stadtrand aus werden solche Anlagen in alle Welt geliefert. Gebraucht werden Flüssiggase für vielerlei: Krankenhäuser sind auf Sauerstoff für Beatmungsgeräte angewiesen; während der Corona-Pandemie rückte das ins öffentliche Bewusstsein. Beim Sauerstoff folgen die Anlagenbauer medizinischen Standards, während der interne Spitzname beim Kohlendioxid „Coca-Cola-Standard“ lautet – weil es darum geht, dass Getränke lebensmitteltauglich blubbern. Kohlendioxid ist jedoch nicht nur in Kaltgetränken heiß begehrt, sondern hat auch in Zeiten der Energiewende Hochsaison: „Dass wir es beherrschen, Kohlendioxid zurückzugewinnen, hat uns weltweit Aufmerksamkeit und Erfolg beschert“, erzählt Corinne Ziege, die von Haus aus Geographin ist. Aus der Luft gegriffen Eine Anfrage aus Neuseeland gab den Ausschlag: „Neuseeland ist Vorreiter der Nutzung erneuerbarer Energien. Dort wird geothermische Energie unter anderem genutzt, um grünen Wasserstoff zu produzieren“, so Corinne Ziege. Das Kohlendioxid, das dabei anfällt, soll eingefangen werden, deshalb klopften die Neuseeländer beim japanischen Konzern Nikkiso an. Der wiederum schaltete Corinne Ziege ein. Das Ende vom Lied sei eine „grandiose Entwicklung“: CRYOTEC gehört nun zum Nikkiso-Konzern mit seinen 1.500 Angestellten – und hat Zugang zu Märkten weltweit. Kohlendioxid binden – ist das nicht, was Bäume tun? „Ja, aber es kann sinnvoll sein, es technisch aus der Luft zu ziehen – zum Beispiel, wenn kostenloser Strom aus Sonne oder Wind übrig ist. Wenn es uns gelingt, solche Spitzen umzuwandeln in brauchbare Energieträger, lösen wir eine Kernfrage der Energiewende und des Klimawandels.“ Neben seiner Eigenschaft als Klimaschädling sei Kohlendioxid in der Chemieindustrie als Grundstoff begehrt. Power to X Corinne Ziege plädiert dafür, bei der Energiewende keine Einheitslösung von oben zu verordnen. „Man sollte darauf vertrauen, dass sich regional das jeweils bedarfsgerechte Szenario herausbilden wird.“ Power to X benennt sie die Zauberformel, wobei das X als Variable für alle Stoffe steht, die sich eignen, Energie in lagerbarer und sinnvoll weiterverwendbarer Form zu binden. Das könne Druckluft sein, etwa in Bergbaugebieten, oder Ammoniak für Düngemittel oder Methanol als Synthese-Rohstoff in der chemischen Industrie – oder eben Wasserstoff, der sich auf Jahre hinaus speichern lässt. „Beim Betanken von Wasserstoff zählt Nikkiso in den USA und Südkorea zu den Vorreitern; das ist eine Expertise, die ich verstärkt in den deutschen Markt holen will“, blickt die Firmenchefin voraus. Ihre Firma platzt aus allen Nähten – weshalb sie die Produktionskapazitäten verdoppelt: Eine neue Werkhalle ist im Bau und soll Mitte nächsten Jahres übergeben werden. „Nicht aufregen, sondern machen“ Die Wasserstoffcommunity ist eine weltweite: „Da herrscht reger Austausch, und die Erkenntnisse werden Open Source zugänglich gemacht.“ Für die jeweilige Herkunft des Wasserstoffs gilt eine Farbenlehre: Unter anderem ist grüner Wasserstoff jener, der kohlendioxidneutral durch erneuerbare Quellen über Elektrolyse oder aus Biomethan erzeugt wird. Dagegen stammt blauer Wasserstoff aus Erdgas; er ist umstritten, weil das entstehende Kohlendioxid gespeichert werden muss. Corinne Ziege hält es für nicht zielführend, nach einer solchen Farbenlehre vorzugehen: „Wir sollten uns weniger über fehlende Standards ärgern, sondern sie aktiv mitgestalten.“ (jad) Corinne Ziege in der Werkhalle: „Standards aktiv mitgestalten“ 10 IHK zu Leipzig Magazin „Wirtschaft“ Ausgabe Winter 2024 Energie Spezial

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