Außenwirtschaftsnachrichten 01/2024

serbausysteme aus Polder, Grachten, Pump- und Sperrwerken wäre eine derart intensive Landwirtschaft, wie sie in den Niederlanden betrieben wird, nicht möglich. Heute ist die niederländische Landwirtschaft weltweit für ihre Effizienz und Produktivität bekannt. Die Niederlande haben sich zu einer bedeutenden Exportmacht in der Agrarwirtschaft entwickelt. Die fruchtbaren Böden, ein fortschrittliches landwirtschaftliches Know-how und eine effiziente Logistik haben dazu beigetragen, dass die Niederlande einer der größten Nettoexporteure von Agrarprodukten weltweit sind, nur die USA exportieren mehr. Produkte wie Blumen, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch finden ihren Weg in Märkte rund um den Globus. Die niederländische Landwirtschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der Lebensmittelversorgung in vielen Ländern. Anschaulich wird dies etwa bei der Betrachtung des Marktes für Molkereiprodukte. Trotz des internationalen Erfolgs der niederländischen Landwirtschaft stehen die Bauern im Land vor vielfältigen Herausforderungen. In den letzten Jahren haben Bauernproteste gegen Maßnahmen zur Reduzierung von Stickstoffemissionen und Umweltauflagen an Intensität gewonnen. Die Regierung in Den Haag will den Ausstoß von Schadstoffen, wie Stickoxid und Ammoniak, senken, die besonders über Gülle in die Umwelt gelangen. Die Niederlande sind einer der größten Treibhausgasemittenten in Europa. Vor allem die Viehzucht gilt als Ursache. Im Raum standen in den letzten Jahren Maßnahmen zu einer grundlegend veränderten Landwirtschaft. So gab es, um die Stickstoffemissionen zu senken, etwa Vorstöße für erhöhten Technologieeinsatz oder sogar die freiwillige Betriebsaufgabe monetär zu kompensieren. Landwirte empfinden diese Maßnahmen oft als Bedrohung für ihre Existenzgrundlage und protestieren zum Teil mit radikalen Maßnahmen für mehr Unterstützung und Verständnis für ihre Anliegen. Im Rahmen der europäischen gemeinsamen Agrarpolitik erhalten auch niederländische Landwirte Unterstützungszahlungen. Viele der Agrarexporte verkaufen die Niederlande in den europäischen Binnenmarkt. Die europäische Vernetzung der Niederlande, aufgezeigt nur an den beiden exemplarischen Beispielen des Überseehandels und des Agrarsektors, ist augenscheinlich. Umso verwunderlicher sind die Ergebnisse der im November abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahl in den Niederlanden 2023. Nach der Wahl, vor der Regierungsbildung Der in vierter Amtszeit und damit am längsten in der niederländischen Geschichte regierende Ministerpräsident Mark Rutte hatte im Sommer durch Rücktritt seines Kabinetts die Parlamentswahl vorgezogen. Seine Regierung bestand aus einem Bündnis aus insgesamt vier Parteien. Diese Regierungskoalition, die ein durchaus breites Spektrum politischer Meinungen und Haltungen abdeckt, spiegelt die parlamentarische Entwicklung der Niederlande wider. Die vergangenen zehn Jahre haben die Niederlande nicht nur durch eine Veränderung der politischen Landschaft und Grundhaltungen geprägt, sondern auch durch eine Neudefinition ihrer Beziehung zur Europäischen Union (EU). Die Fragmentierung der Parteienlandschaft spiegelt dabei nicht nur eine Vielfalt an Meinungen und Themen wider, sondern auch unterschiedliche Ansichten über die Rolle der Niederlande in der EU. Kleinere Parteien, die spezifische (EU-)Politiken vertreten, haben an Einfluss gewonnen. Zu beobachten ist dies anschaulich an dem rasanten Aufstieg der „Bauern-Partei“ BoerBurgerBeweging, die analog zu den Protesten der Landwirte einen Aufwind genoss und bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten im März 2023 landesweit zur stärksten Partei wurde. Themen wie Souveränität, Verteilung von (EU-)Finanzmitteln und die Auswirkungen der EU-Integration haben zu einem differenzierten politischen Spektrum geführt. Die Niederlande haben traditionell eine pragmatische und handelsorientierte Perspektive gegenüber der EU eingenommen. Die Beziehung der niederländischen Bevölkerung zur EU hat sich in den letzten Jahren differenziert. Während es nach wie vor eine starke pro-europäische Haltung gibt, haben gleichzeitig euroskeptische Meinungen zugenommen. Insbesondere Themen wie Migrationspolitik und wirtschaftliche Solidarität innerhalb der EU haben zu Spaltungen innerhalb der niederländischen Gesellschaft geführt. Diese fundamentale Gegenpoligkeit der Gesellschaft lässt sich auch aus dem jetzigen Wahlergebnis ablesen. Die stärkste Partei, die Partij voor de Vrijheid, gilt als rechtspopulistische und rechtsextreme sowie europaskeptische Partei. Geführt wird sie vom bekannten und gleichermaßen umstrittenen Geert Wilders, er ist gleichzeitig Vorsitzender, einziges Mitglied und ihr Gründer. Geert Wilders fordert unter anderem ein Referendum über den Austritt der Niederlande aus der Europäischen Union, den Austritt aus dem Schengener Abkommen sowie die Abschaffung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission. Die zweitstärkste Kraft wurde der Parteizusammenschluss von GroenLinks/ Partij van de Arbeid, einem Bündnis der niederländischen Grünen Partei und den Sozialdemokraten unter der Führung von Frans Timmermans. Er war bis zum Wahlkampf vom 1. Dezember 2019 bis August 2023 erster geschäftsführender Vizepräsident und Kommissar für Klimaschutz und den European Green Deal in der EU-Kommission unter von der Leyen. Mit einer entsprechenden proeuropäischen, progressiven Agenda ist der Parteienbund zur Wahl angetreten. Die Fragmentierung des Parlamentes werden eine Regierungsbildung für beide Seiten langwierig und aufwendig machen. Eine wie auch immer geartete Richtungsentscheidung wird früher oder später auch Auswirkungen auf Sachsen und den sächsischen Zugang zum globalen Warenhandel haben. Tobias Runte, IHK Dresden 6 Länder und Märkte

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