4 Seite Warum Bürokratie unsere Wirtschaft lähmt Zu viele Regeln, zu wenig Freiheit: Dr. Gert Ziener Geschäftsführer Grundsatzfragen IHK zu Leipzig Deutschland ist stolz auf seine Ordnung – doch genau diese Detailverliebtheit macht uns inzwischen träge. Im Interview spricht Dr. Gert Ziener, Geschäftsführer Grundsatzfragen der IHK zu Leipzig, über die Folgen für Unternehmen, über „Gold-Plating“ – und darüber, wie wir Verwaltung wieder pragmatischer angehen können. Guten Tag, Herr Dr. Ziener. Sie sagen, Bürokratie sei nicht per se schlecht. Wo liegt dann das Problem? Dr. Ziener: Eine Gesellschaft braucht Regeln, sonst funktioniert das Zusammenleben nicht. Das eigentliche Problem in Deutschland ist aber die Detailversessenheit. Wir haben die Tradition, alles bis ins Kleinste regeln zu wollen – und zwar oft doppelt oder widersprüchlich. So gibt es beispielsweise das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Am Ende stehen Unternehmen vor einem Berg von Auflagen, die sich überschneiden, widersprechen und sie schlichtweg lähmen. Hinzu kommt das berühmte „Behörden-Pingpong“, wenn mehrere Institutionen zuständig sind und sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Können Sie ein Beispiel nennen, wie sich das in der Praxis auswirkt? Dr. Ziener: Im Leipziger Neuseenland würden Unternehmen gerne den Wassertourismus und Sportlerinnen und Sportler den Wassersport weiter voranbringen. Für den Standort eigentlich eine gute Sache. Doch es gibt seit Jahren keine abschließende Schiffbarkeitserklärung. Genehmigungen müssen jedes Jahr neu beantragt werden. Meist sind mehrere Behörden an den Verfahren beteiligt, was alles noch komplizierter macht. Solche Verfahren dauern Jahre und entmutigen Investoren. Unternehmen verlieren dadurch Zeit, Lust, Geld und Planungssicherheit. Wieso ist die Bürokratielast in Deutschland besonders hoch? Dr. Ziener: Ein Grund ist das sogenannte Gold-Plating: Wir neigen dazu, EU-Vorgaben nicht nur eins zu eins umzusetzen, sondern überzuerfüllen. Hinzu kommt unsere deutsche Akribie – mehr als 500 neue Gesetze hat der Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen. Das schafft eine Detaildichte, die kaum noch jemand überblicken kann. Eigentlich gilt in einer Marktwirtschaft: Der Wettbewerb bringt oft die besten Lösungen hervor. Doch hierzulande greift das Ordnungsrecht oft auch dann ein, wenn der Markt gut funktioniert. Das ist Überregulierung – und sie schwächt Vertrauen und Eigeninitiative. Ist Bürokratie also ein rein deutsches Problem? Dr. Ziener: Nein. Die EU produziert selbst viele Auflagen. Gerade in den Bereichen Klima und Umwelt ist dies in der Sache oft wichtig, aber die Vorgaben sind häufig zu streng und nur mit sehr großem Aufwand zu erfüllen. Die europäische Überregulierung geht zulasten der Grundfreiheiten des Binnenmarktes – also genau jener Prinzipien, die Europa groß und stark gemacht haben. Die EU hat das erkannt und rudert inzwischen teilweise zurück, etwa mit den sogenannten Omnibusverfahren, die Entlastung bringen sollen. Welche Rolle spielen Behörden und Verwaltung selbst? Dr. Ziener: Eine große Rolle. In den 1990er-Jahren gab es in den Behörden mehr Ermessensspielräume; Entscheidungen wurden pragmatischer getroffen. Heute überwiegt das „Absichern“ – lieber noch ein Passus, noch ein Formular, noch ein Gutachten. Die Folge sind langwierige, lähmende Verfahren. Dabei hängt viel von den Menschen ab: Führungskräfte in den Verwaltungen, aber auch die Ausbildung an den Verwaltungshochschulen. Dort müsste ein Geist vermittelt werden, Gesetze so zu gestalten und anzuwenden, dass sie unternehmerisches Handeln erleichtern und Investitionen ermöglichen – nicht verhindern. Wir brauchen mehr Mut, mehr Freiheitsgrade und einen echten Kulturwandel in den Amtsstuben. „Verwaltung in Deutschland: noch ein Passus, noch ein Haken, noch ein Einwand.“
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