WIRTSCHAFT

WIRTSCHAFT Digital: Welche Widerstände konnten aus dem Geschehen herausanalysiert werden? Dr. Fabian Magerl: Hinderlich ist primär, dass der Fokus in der kommunalen Verkehrspolitik in den vergangenen Jahren zu einseitig auf den Radverkehr gerichtet wurde und die anderen Verkehrsträger entsprechend vernachlässigt worden sind. Für eine zukunftsfähige kommunale Verkehrsinfrastruktur braucht es eine verkehrsträgerübergreifende, integrierte Sichtweise. Volker Lux: Ich sehe das so: Die Stadtverwaltung interpretiert und priorisiert Stadtratsbeschlüsse sehr selbstbewusst. Die Priorisierung des Wirtschaftsverkehrs aus dem STEP spielt in der Umsetzung faktisch keine Rolle. WIRTSCHAFT Digital: Welche Vorschläge zur Harmonisierung der Lage unter Berücksichtigung gerade auch der Belange der Wirtschaft haben die Kammern? Volker Lux: Wir fordern einen Masterplan Verkehr für alle Verkehrsarten. Kein Stückwerk, keine Einzelfallmaßnahmen – die Stadt braucht einen Plan. Den hat sie nicht. Dr. Fabian Magerl: Keine Frage, ein solcher Plan ist die Grundvoraussetzung. Aber vom Planen allein verbessert sich die Lage noch lange nicht. Entscheidend ist die Umsetzung der darin enthaltenen Maßnahmen. Dazu bedarf es eines klaren Bekenntnisses im Hinblick auf die Sicherstellung der Finanzierung und eines straffen, verbindlichen Zeitplans. Gemeinsam mit der Wirtschaft müssen notwendige Verkehrsprojekte identifiziert werden, die sodann auch verbindlich zu realisieren sind. Dass hier in Leipzig Anspruch und Wirklichkeit sehr weit auseinander klaffen, zeigt sich aktuell in der Verschiebung der Ertüchtigung der ÖPNV-Infrastruktur um viele Jahre. WIRTSCHAFT Digital: Im Brief der Kammern an den Oberbürgermeister Burkhard Jung vom 6. Juli 2023 steht explizit: „Wir wenden uns also nicht per se gegen die Verbesserung der Bedingungen für den Radverkehr. (…) Wirtschaft und Verwaltung benötigen eine stabile und nachhaltige Kommunikationsbasis, insbesondere für die Verkehrspolitik, zur Organisation der Mobilität und zur Gestaltung der Infrastruktur (…) bei gleichberechtigter Berücksichtigung aller Verkehrsarten.“ Sehen Sie hier Nachholbedarf in der demokratischen Sicht der Verwaltung? Wieso gibt es eigentlich die Verwerfungen? Volker Lux: Es ist doch klar erkennbar, dass die Stadt gar nicht die finanziellen Mittel hat, um den ÖPNV als zentralen Verkehrsträger wirklich attraktiv zu machen. Das wäre aber der Schlüssel für alle anderen Bemühungen um nachhaltige Fortbewegung. Da dieser Schlüssel aber fehlt, bleibt alles andere Stückwerk. Breitere Straßenbahnen, einspurige Trassen in der Prager und Berliner Straße, Tempo 30-Modell, alles Stückwerk, weil der Schlüssel fehlt. Oder eben das Eingeständnis, dass man den ÖPNV nicht wie gewünscht aufs Gleis bekommt. Dr. Fabian Magerl: Abgesehen von der Finanzierungsfrage ist eine ideologiebefreite Sicht der Dinge durch die beteiligten Akteure zweifelsohne hilfreich, um bestehende Verwerfungen im Sinne der Sache zu beseitigen. WIRTSCHAFT Digital: Die Kammern zeigen sich durchgängig proaktiv und gesprächsbereit. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Seite der Verwaltung seit der – lange Zeit gerade von den Kammern geforderten – Einsetzung des ersten Wirtschaftsbürgermeisters Clemens Schülke nach vielen Jahren Leere in diesem Segment in der Verwaltung? Volker Lux: Herrn Schülke muss man hoch anrechnen, dass er dafür gesorgt hat, den „Runden Tisch Wirtschaftsverkehr“ wiederzubeleben. Erst mit seinem Amtsantritt kam der Gesprächsfaden zur Stadtverwaltung wieder zustande. Dr. Fabian Magerl: Gerade dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es war, diese Dezernentenstelle wieder zu besetzen. Die Leipziger Wirtschaft benötigt einen engagierten und vor allem selbstbewussten Wirtschaftsbürgermeister, der gegenüber den anderen Ressorts klar artikuliert, dass bei jeder Entscheidung die Belange der Wirtschaft zu berücksichtigen und die Wirtschaftsvertreter entsprechend einzubeziehen sind. WIRTSCHAFT Digital: Danke für Ihre Zeit und Ihren Einsatz im Interesse der Wirtschaftstreibenden. Für eine zukunftsfähige kommunale Verkehrsinfrastruktur braucht es eine verkehrsträgerübergreifende, integrierte Sichtweise. 8 IHK zu Leipzig Magazin „Wirtschaft“ Ausgabe Herbst 2023 Das große Interview

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